Koppstoff


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Die Türken kommen

Die Türken bzw. besser die Türkinnen sind schwer im Kommen, und zwar nicht mit Döner, goldenem Sultan-Schick und Obst und Gemüse, sondern mit einem selbstbewussten Anspruch auf ihren Anteil am Lebens in Deutschland. Sie wehren sich gegen die Multi-Kulti-Vereinnahmung durch das liberale Pralinengeschmuse des Bildungsbürgertums; diese Mitleidstouren haben sie nicht mehr nötig. Auf blitzblankes Brauchtum der "Zivilisierten" können sie verzichten. Längst der deutschen Sprache mächtig, mit den deutschen Strukturen bestens vertraut und mit Bildungsattributen versehen, pfeifen sie auf die politisch korrekten Reden von Integration in die deutsche Gesellschaft. Sie wollen kein Aufgehen in den deutschen "Manierbeibringern" sondern eine eigenständige Stellung mit ihren vielfältigen Wurzeln. Sie fühlen sich keineswegs als Fremdlandfrauen, die noch besetzt sind und von den Westemanzen zur Befreiung geführt werden wollen. Sie haben längst ihren eigenen Weg gefunden, mag er auch noch so kurvig und steinig sein. Denn sie haben sich nicht nur den deutschen Assimilierungsattacken zu erwehren sondern auch dem Anpassungsdruck durch die Traditionen ihrer Familie.

Fünf starke Frauen präsentierten sich in "Koppstoff" nach dem Buch von Feridun Zaimoglu am Wochenende im Thalia in der Gaußstraße. Unterstützt von zwei jungen Männern an den Turntables erzählen die Berliner Schauspielerinnen und Musikerinnen ((Ilknur Bahadir, Idil Baydar, Sen Boral, Günfer Cölgecen, Idil Üner) sehr unterschiedliche Geschichten von deutschtürkischen Frauen im holzverschalten Bühnenraum, der halb Wohnstube und halb Chefzimmer ist. Protokollierte Zaimoglu sonst eher die kunstvolle Kanakspraak in einer Mischung aus Deutsch, Türkisch und Großstadtslang, so haben diese Frauen die vielen Duden, die noch auf dem Schreibtisch stehen, wirklich nicht mehr nötig. In allen Tonlagen - auch den musikalischen - versiert jonglieren sie gekonnt, kunstvoll und poetisch mit der deutschen Sprache.

Bei all der Wut, Aggression und Kampfeslust, die diese Frauen ausstrahlen, gibt es Momente der Besinnung. Dann greifen sie weder zu deutschem Liedgut noch zu türkischen Klängen sondern zu amerikanischen Lovesongs. Ein Kampf an allen Fronten macht einsam und so wünschen sie sich einfach: "Somebody to love me." Solange müssen sie sich nicht nur einen Anti-Kälte-Panzer gegen das deutsche Klima anziehen sondern auch weiter nach der vermissten Wärme für die Seele in Deutschland suchen.

Birgit Schmalmack vom 3.11.02

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