Berliner Geschichte


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Ein Blick in eine Berliner Wohnkiste

Ein kleiner Kasten - schwarz-weiß gestricheltes Innenleben mit einem Tisch und einem Stuhl ohne Fenster - hängt losgelöst von der Erde an vier Stahlseilen von der Decke des Malersaals. Dieses Bühnenbild drückt eigentlich schon alles aus, was Er (Wiebke Puls) als Bewohner dieser düsteren Souterrainwohnung uns in einer Dreiviertelstunde in der "Berliner Geschichte" von Dea Loher erzählen wird.

Der Blick wird magisch angezogen von diesem geschlossenen Kasten auf der ansonsten dunkeln und leeren Bühne, man kriecht förmlich zu "Ihm" hinein. Man richtet alle Aufmerksamkeit auf diesen schlaksigen, bedauernswerten Menschen. Man möchte seine Geschichte verstehen. Was hat ihn in diese Kiste eingesperrt?

Als Erklärungen, wie er dorthin gekommen sein mag, bietet die Autorin etliche zur Auswahl: Ihn stört den Lärm der Großstadt so stark, das er ihn mit donnernder Rammstein-Musik übertönen muss. Er leidet unter Schlaflosigkeit, da er als Nachtarbeiter (Kellner) auch tagsüber durch den immerwährenden Baustellenlärm nicht zur Ruhe kommt. Er hat was gegen Ausländer, weil sie immer die besseren Wohnungen bekommen, und wird deswegen als Nazi beschimpft. Er predigt von Jesu Versöhnungstod sonntags im Hinterhof. Er rettet eine Katze vor dem Großstadtlärm und sperrt sie zum Schutz in seine Kiste einund nennt sie seinen einzigen Freund.

Wiebke Puls gibt sich unendliche Mühe, diese Einzelteile zu einer glaubwürdigen Person werden zu lassen. Ihre Anstrengung rührt. Wie sie dort in dem Kasten, der gerade groß genug für die hochgewachsene Frau ist, wie eine Marionette mehr hängt als steht, mehr kriecht als geht, mehr wiederkäut als isst, wie sie immer wieder, wenn sie etwas fühlen möchte, in die schwarze Hose greift und sich immer mühe- und geräuschvoller einen herunterholt; das schmerzt beim Zusehen. Trotzdem fällt es schwer für diese Person (das bleibt Er leider) Verständnis zu entwickeln. Wiebke Puls spukt, röchelt, kratzt und ächzt, aber "Er" wird nicht zu einem "Ich". Der Text von Dea Loher erweist sich als äußerst sperrig, zu sperrig um in diese kleine Kiste zu passen.

Birgit Schmalmack vom 1.11.01.