Zapping Tschechow


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Zuggrollen statt Waldesrauschen

Scheinen die Dramen von Tschechow nicht alle von ähnlichen Lebenskonflikten zu handeln? Manch ein durch scheinbare Wiederholungen gelangweilter Zuschauer mag schon der Gedanke gekommen sein, ob die Stücke sich nicht zeitsparender in einem vereinigen ließen? Endlich ist nun ein Regisseur dieser Idee nachgegangen, ganz zeitgemäß einen Teil unserer Lebenszeit zu sparen und uns die Darstellung der ländlichen Langeweile in Russland kurzweilig in kleinen Häppchen zu verabreichen. Wladimir Tarasjanz zeigt ein kurzweiliges unterhaltsames "Zapping Tschechow" als Abschlussinszenierung des dritten Jahrgangs. Wenn das nicht zu Einbußen an Tiefgang der Lebensdramen führt, liegt das an dem sehr eindringlichen Spiel der Darsteller.

Das Personal der "Möwe" sitzt derweil auf dem Wohnzimmersofa und guckt nicht in die Röhre sondern auf die kleine Bühne. Die kritische Theater-Mutter (ganz Diva: Pheline Roggan) begutachtet mit ihrem Sohn, dem Möchtegern-Theaterrevoluzzer Kostja (Gunnar Haberland), das Gebotene. Unter Ausschnitten aus "Drei Schwestern" mit drei starken Frauenrollen (Friederike Thieme, Natalie Claus, Leena Fahje), einem bewusst überzogenen, melodramatischen "Ivanow", einem konventionell rührenden "Kirschgarten" zeigt "Onkel Wanja" ein besonderes Kabinettstückchen. Hier erfährt der Tresen des Waagenbaus durch Doktor Astrov (Lars Wasserthal) die ihm gebührende Geltung. Dort kann er seiner Neigung zum Alkohol als letzten Tröster passend frönen. Hier darf er sich mit seiner angebeteten, schönen Elena (Jenny Kippel), die sich ebenfalls einen kräftigen Schluck genehmigt, ganz der Liebestrauer ergeben. Das kleine Entlein, die Stieftochter Sonja (Gundula Niemeyer) hat dabei das Nachsehen - nicht nur in flüssiger Hinsicht. Die akrobatische Tanzeinlage von Lars Wasserthal schüttelt ihn nicht nur wieder nüchtern sondern offenbart auch, warum die Frauen von diesem Charmeur so angezogen sind.

Das Zuggrollen der S-Bahn anstatt des Waldesrauschen der russischen Natur gab es bei dieser Aufführung im rappelvollen Waagenbau gratis dazu. Durch kunstvolle Tonspuren verstärkt, übertrug es Tschechow ins städtische Hamburg. Viel Applaus für den bildungsfördernden Schnelldurchlauf gab es zum "Sendeschluss".

Birgit Schmalmack vom 30.6.04