Kasimir und Karoline


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Sehnsucht nach Aufstieg

Der Zeppelin zieht seine Kurven über dem Festplatz des Münchner Oktoberfestes. Unten stehen die Menschen und blicken hinauf zu dem Wundergefährt. Als Ödön von Horvarth sein Stück "Kasimir und Karoline" 1932 schrieb, war bereits bekannt, dass der Zeppelin die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte und 1908 abgestürzte. So wird er in dem "Volksstück" zu einem Bild für die hoch fliegende Wünsche und Träume der Menschen, die ebenfalls für den jähen Absturz vorprogrammiert sind.

Auch Karoline (Paula Dombrowski) hat Aufstiegssehnsüchte. Sie träumt von einem besseren Leben. Als Frau stehen ihr dafür nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung. Da sie aus keinem wohlhabenden Elternhause stammt, kann sie ihrer Karriere nur über einen geeigneten Heiratskandidaten Aufschwung geben. Ihr Verlobter Kasimir (Peter Moltzen) scheint ihr an diesem Tag im Oktober, als sie im Himmel den Zeppelin kreisen sieht, die gänzlich ungeeignete Partie dafür zu sein. Denn er ist im Zuge der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden. So schaut sie sich plötzlich nach aussichtsreicheren Männern um. Schnell macht sie die Bekanntschaft des "gebildeten" Zuschneiders Eugen (Norman Hacker), der mit Brille und grell orangener Windjacke bieder und schüchtern daherkommt. Auch der Vorstandsvorsitzende Roth (Stephan Schaad) hat ein Auge auf das junge Mädchen geworfen, allerdings mit ganz eindeutigen Absichten, die Karoline vollends verkennt. So zieht sie mit dem reichen Herrn in seiner Limousine ab. Kasimir bleibt völlig desillusioniert zurück. Er findet sich in einer kurzfristigen Schicksalsgemeinschaft mit Erna (Susanne Wolff) wieder, der Freundin seines Kumpels Franz Merkel(Daniel Hoevels), der von der Polizei verhaftet und ins Zuchthaus verfrachtet worden ist. Wolff und Hoevels geben eindrucksvoll das Unterschichtpaar, in der die Rollen klar verteilt sind: er bestimmt, sie gehorcht, er schlägt sie und sie erduldet es. Der Aufstiegswille beschränkt sich hier auf kleinkriminelle Handlungen, die das Portemonnaie füllen für den nötigen Alkoholpegel, den sie brauchen, um ihr Leben zu ertragen. Dombrowski spielt Karoline als launisches, naives Mädchen, die doch so gerne eine selbständig agierende Frau wäre. In Verkennung ihrer Lage und Möglichkeiten strebt sie zielsicher auf ihr Unglück zu. Moltzen zeigt am bodenständigen Kasimir die weichen Züge, die Karoline aber im Moment wenig attraktiv findet.

Wohl weil die Thematik kaum aktueller sein könnte, verzichtete Regisseur Stephan Kimmig auf zusätzliche Aktualisierung. Er belässt das Drama in seiner Zeit und seinem Setting. Nur auf das Jahrmarktskolorit verzichtet er. Bühnenbildnerin Katja Haß setzte eine leere, große Holztrommel auf die die ansonsten leere Bühne, die sich nutz- und lustlos wie ein Karussell dreht. Die Menschen lassen sich von ihr mitziehen. Sie selbst bestimmen nicht die Richtung ihrer Bewegung. Sie lassen sich treiben. Schon zu Beginn machen die vereinzelt herumhuschenden Gestalten die Trost- und Hoffnungslosigkeit deutlich. Somit erscheint eine Entwicklung zum Besseren von vornherein unwahrscheinlich und der Spannungsbogen bleibt naturgemäß niedrig. Kimmig zeichnet ein Stimmungsbild einer Gesellschaft, dem der Eigenantrieb abhanden gekommen ist und die sich vielmehr von den Verhältnissen getrieben fühlt. Eine Lage, in die sich manche zur Zeit mehr hineinfühlen können, als ihnen lieb sein mag.

Birgit Schmalmack vom 7.11.08