Urfaust


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Öd ist alle Theorie

Dunkel ist die Erdhöhle, in der sich der alte Faust zu seinen Studien zurückgezogen hat. Hier in der Büchergruft hat er sich verkrochen, weiß aber dass ihn all seine akademische Erkenntnissuche nicht zu seinem Ziel geführt hat. Nur sein Famulus Wagner, der bärtige schlurfende Grufti, leistet ihn in seiner Alten-WG noch Gesellschaft. Doch die Kommunikation ist auf ein Minimum zusammen geschrumpft. Grunzlaute und Papptafeln reichen Wagner und Faust zur Verständigung. Oft zieht Faust sich ohnehin in seinen Kokon, der von der Decke baumelt, zurück. Die Langweile und Ödnis dieses Rest-Lebens teilen sich dem Zuschauer in diesem ersten Teil der Inszenierung des Urfaust im Thalia Theater hautnah mit. Dass Faust alles riskieren möchte um aus dieser Höhle der Vergänglichkeit zu entkommen, kann er lebhaft mitempfinden. Dass er dafür sogar den Erdgeist anruft und einen Pakt mit Mephisto, der als weiße Larve aus dem Erdboden schlüpft, eingeht, wird nachvollziehbar. Der alte Faust (Katharina Matz) muss dafür vergehen und der junge (Hans Löw) aus einer rotblutigen Placenta schlüpfen.

Nach der Pause ist die braune Höhle zu einem hell erleuchteten Saal mutiert, in dem zu lauter HipHop-Musik ein junges, unschuldig weiß gewandetes Gretchen den abwartenden Faust umtanzt. Mephisto und Nachbarin Marthe stehen beobachtend daneben. Faust ist angetan von dieser naiven Unschuld. Mephisto soll die Kleine klarmachen, was ihm eine Freude ist, zumal er sich derweil mit Marthe vergnügen kann. Der Teufel versteht sein Handwerk: Mit Schmuck für das Mädchen und Schlaftrunk für dessen Mutter bereitet er Faust den Weg zu ihrem Bett. Doch das Erwachen ist bitter: Die Mutter ist tot, Gretchen ist schwanger, sie ertränkt ihr Kind und wird zum Tode verurteilt. Auch Faust erkennt den Preis, den er für seine praktische Erkenntnissuche bezahlen muss: Sein Gewissen schlägt Alarm. Doch er ist an Mephisto gekettet. Schon drängt der zum Aufbruch und zu neuen Taten. Zum Schluss hat der Teufel das Gretchen an die Hand genommen und in sein Reich geführt. Faust bleibt allein in seiner Höhle seines Ichs zurück: Aus seinem Ipod erklingt das Lied von Radiohead: "I wish i was someone special, but I am just a creep".

Kriegenburg hat mit dieser Arbeit am Thalia Theater keine rundum beglückende Arbeit vorgelegt. Der für seine spritzigen Bildervielfalt und Tiefgründigkeit geschätzte Regisseur liefert im ersten Teil müde wirkende Einfälle ab, die mühsam in die Länge gezogen erscheinen. Im zweiten Teil dreht er das Tempo wie das Licht auf, kann aber nicht bei allen Figuren eine glaubhafte Entwicklung zeigen. Faust bleibt seltsam blass und getrieben, was auch daran liegt, dass er im ersten Teil noch von Katharina Matz gespielt wird. Dem Gretchen haucht das expressive Spiel von Lisa Hagemeister verströmendes Herzblut ein. Durchgehend eindrucksvoll ist die Verkörperung des Mephisto durch Natali Seelig. Ihre Diktion, ihre Körpersprache ist so ausdrucksstark, das sie über weite Strecken die gesamte Aufführung trägt.

Birgit Schmalmack vom 23.1.09