Onkel Wanja


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Verzweiflung über ungelebtes Leben

Regennass kommt Astrow (Devid Striesow) von draußen herein. Mit dem Gartenschlauch hat er nicht nur sich sondern auch die am Rande Sitzenden eingesprüht. Völlig betrunken torkelt er nun über die Bühne und erledigt sich kurzerhand aller äußeren Hüllen, die seinen erbärmlichen Zustand noch verdecken könnten. Er gesellt sich zum am Boden kauernden, schon in Rotwein eingetunkten Onkel Wanja (Josef Ostendorf), in dessen großen Bauch er seinen Kopf bettet. Eine Schicksalsgemeinschaft ergibt sich nicht nur durch ihren Alkoholkonsum sondern auch ihre Verschwendung von Geist und Talent auf dem Lande in einer Gesellschaft von lauter Dummköpfen. Von Fortschritt und Intelligenz keine Spur schuften sie nur, um am Leben zu bleiben aber nicht um etwas zu erschaffen. Ihre Verzweiflung erreicht ihren Höhepunkt als der Schmarotzer ihrer Arbeit, der Professor Alexander, der sein Leben lang von ihrer Arbeit auf dem Gut in der Stadt leben konnte und nun seinen Ruhestand auf dem Lande verbringen will, mit seiner jungen Frau Elena (Ursina Lardi) die dörfliche Ordnung auf den Kopf stellt. Plötzlich halten Müßiggang, Faulheit, Eifersucht und Neid auf dem Gut Einzug. Onkel Wanja und Astrow verlieben sich gleichermaßen in die schöne Frau, die aber unbedingt ihrem alten kranken Ehemann die Treue halten will. Sonja, die brave Tochter des Professors, ist wiederum in den Arzt Astrow verliebt, nun völlig chancenlos neben der kapriziösen Elena.

In der Inszenierung von Thorsten Lensing und Jan Hein brechen die Emotionen ungeschönt an die Oberfläche. Jede zivilisatorische Disziplinierung wird abgelegt. Die über drei Stunden fesselnde Interpretation wurde nach Köln und Berlin zum Glück auch in Hamburg auf Kampnagel gezeigt. Von Tschechows dahinschleppender Langeweile keine Spur, stattdessen ein Fest für die Ausnahmeschauspieler Ostendorf, Lardi und Striesow.

Birgit Schmalmack vom 23.12.08