Mein Leben


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Standpunktsuche

Ist es für einen 36-jährigen nicht ein wenig verfrüht eine Biographie mit dem schlichten Titel "Mein Leben" vorzulegen? Doch schon zu diesem frühen Zeitpunkt sind die Lebensweisheiten von Michael Ehnert zu einer beachtlichen Anzahl zwischen zwei Buchdeckeln angewachsen. Nach weiteren 36 Jahren hätten sie wohl jeden druckbaren Umfang gesprengt.

Das Werk liegt auf der ansonsten leeren Bühne der Kammerspiele. Ein Glas Wasser ist auf ihm abgestellt. Ansonsten ist Ehnert allein. Doch alsbald bevölkern bei seiner Spurensuche in Sachen Selbstfindung zahlreiche Weggefährten die Bühne. Denn Ehnert ist ein brillanter Erzähler und Schauspieler, der seine einstigen Filmhelden, die sein Leben so nachhaltig geprägt haben, mühelos neben ihm erscheinen lässt. Marlon Brando, Gary Cooper und Sylvester Stallone waren seine filmischen Lebensberater. Schmerzhaft war allerdings die Erkenntnis, dass sich die Sheriff-Nummer nicht einfache auf dem Schulhof in Mümmelmannsberg übertragen ließ. Eine eingeschlagene Nase überzeugte ihn davon. Doch der Wunsch, dass sein Gesicht groß auf Plakaten zu sehen sein sollte, wurde in dieser tristen Betonwüste geweckt. Wenn er schon nicht im realen Leben der Pate sein konnte, wollte er ihn wenigstens spielen. Als seine Karriere als Schauspieler allerdings als angeschnellter Patient in einer Krankenhausserie endet, sucht er nach neuen Möglichkeiten auf der Bühne zu stehen. Er will zu den Bildermachern gehören. In der heutigen Welt, die aus Bildern besteht, will bei den Machern sein. Doch Ehnerts Bilder entstehen im Gegensatz zur medialen Bilderflut allein in der Fantasie durch seine große Darstellungskunst. En passant trägt er so auf sehr unterhaltsame Weise zum Nachdenken über die Austauschbarkeit von Begriffen wie gut, böse, sozial, gerecht, links, rechts bei. Und findet so doch noch zu einem Standpunkt, dessen Verlust er am Anfang des Abends so verzweifelt beklagte.

Birgit Schmalmack vom 12.10.04