Erdbeerfelder für immer


www.hamburgtheater.de

Unter der braven Fassade brodelt es

Wenn ihr ehrwürdiger Chef im Aufzug verschwindet, dann brechen aus den Mitarbeitern des Deutschen Musikarchives die lang unterdrückten Wünsche, Träume und Fantasien hervor. Dann lassen alles heraus, was lange hinter ihren braven Fassaden aus braunem, knielangen Röcken, schlecht sitzenden Hosen und buntgemustertem Pullunder versteckt geblieben ist. Dann holen sie die Perücken aus den Archivkästen und glauben sich bekifft in der "Hair"-Kommune. Dann träumen sie zu "All you is love" von der freien Liebe. Dann zeigen ihr mit "Born to be wild" ihr wahres Gesicht, das immer schon einmal die ganzen Aktenordner abräumen und den Papierkorb zertrümmern wollte. Dann holt die Sekretärin ihr riesiges Päckchen Kokain hervor und spendiert für alle eine Runde um sie in "Sweet dreams" zu schicken.

Unter den Büsten von Beethoven, Brahms, Bach, Nena, Nina und Nicole taten die Sechs an ihren Schreibtischen brav ihren Dienst an dem Kulturerbe der deutschen Musikgeschichte. Jedenfalls so lange bis Erik Gedeon sie auf Entdeckungsreise in die Abgründe ihrer Seelen schickte und ihnen dazu die passenden Musikarrangements auf den Leib schrieb. Die Scherze glitten zwar zum Teil unter die Grenzlinie des guten Geschmacks ab, aber das tat dem Amüsement der meisten Zuschauer keinen Abbruch. Das Publikum im Schauspielhaus zeigte sich begeistert von dem Gastspiel des Schauspiels Köln, das an diesem Freitag nach Hamburg gekommen war. Erst nach mehrere Zugaben entließen sie die sangeskräftigen Schauspieler von der Bühne.

Birgit Schmalmack vom 5.5.06