Medea


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Ein unordentlicher Abend

Nach der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg für "Medea" befragt, meinte Helmut Mooshammer, den Zuschauer würde ein "unordentlicher Abend" erwarten. Recht hatte er. Im Laufe der zwei Stunden verwandelte sich die Bühne (ebenfalls von Kriegenburg) immer mehr zu einem Schlachtfeld mit Geschirr-, Essens- und Möbelresten. Medea (Judith Hofmann) muss große Teile des Abends fast nackt und mit weißer Farbe beschmiert verbringen. Alle Übrigen tragen ihre meist roten, blutigen Spuren durch den Handlungsverlauf davon.

Medea ist bei Kriegenburg eine ganz unheldenhafte Frau, mit Selbstzweifeln, Unsicherheit, Angst und Depressionen behaftet, und keineswegs die nur starke und blutige Rachegöttin. Durch ihre Verliebtheit geblendet gibt sie für den Griechen Iason (Mooshammer) ihre Heimat auf und tötet um mit ihm leben zu können ihren eigenen Bruder. Doch in dem fremden Land wird sie nie heimisch und anerkannt. Sie gilt als barbarische Zauberin. Iason hält den äußeren Bedingungen dieser Liebe nicht stand und ergreift seine Chance auf Anerkennung und Aufstieg, als er die Tochter des Königs Kreon zur Ehefrau nehmen darf. Medea hat keinerlei Verständnis für seine Untreue und vergiftet zunächst seine Zukünftige. Als sie erkennt, dass an ihren gemeinsamen Kindern jetzt ebenfalls Rache ausgeübt werden wird, bringt sie sie um und zerstört Iason damit ganz.

Judith Hofmann zeigt eine zarte, anlehnungsbedürftige Frau, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität ist. Sie erscheint als eine ihrem Gatten hörige Frau, die von ihm beschimpfen, fesseln und benutzen lässt ohne aufzumucken. Sie ist zunächst geneigt, diese um einem Mann herum aufzubauen. Als dieser kläglich versagt, stellt sie sich mühsam auf ihre eigenen Füße und fällt ihre Entscheidungen, die sie für notwendig hält um ihre Würde zu erhalten - auch wenn sie dabei sich selbst großes Leid zufügt. Die ihr zugefügte Schuld darf nicht ungesühnt bleiben. Dieses Prinzip stellt sie nach langem Zaudern über das Prinzip des Lebenserhalts unschuldiger Kinder und das des eigenen Glücks.

Kriegenburg stellt ihr zwei schwarze, treue Begleiter zur Seite. Victoria Ttrauttmansdorff und Hans Löw als Amme und Erzieher fungieren als berichtender, fragender und kommentierender Chor in Form von weiß geschminkten, Melonen behüteten Clowns. Sie repräsentieren den menschlich mitfühlenden Teil dieses Abends. Die anderen Personen zeigen mehr ihre eigennützige, dominante und rabiate Seite. Iason trinkt und pöbelt meist herum. König Kreon (Markwart Müller-Elmau) verbannt gleichgültig weitersaufend und -fressend die gefürchtete Medea.

Erst in der zweiten Hälfte gewinnt die zentrale Figur der Medea in der Zeichnung von Kriegenburg an Schärfe und Stimmigkeit. Die ständigen Umgestaltungen ihrer äußeren Gestalt  auf der Suche nach ihrem wahren Selbst (mal Perücke plus Riesen-BH, mal Erstarrung in weißem Gips, mal Stöckelschuhe und Negligé, mal schlabberige Unterwäsche usw.) zeugen von Einfallsreichtum, machen es Judith Hofmann aber eher schwer, eine Linie in ihrem Spiel zu finden. Als sie ihr letztes Outfit gefunden hat - Männerhose zu offenem Blümchenkleid - darf sie die verschiedenen Anteile dieser sehr modernen, sich emanzipierenden Frau zusammenführen und äußert überzeugend darstellen.

Zwischendurch serviert Kriegenburg kleine Leckerbissen, die für erleichternde Erheiterung in dem kräftezehrenden Drama sorgen. Müller-Elmau hält eine überzeugende, gestenreiche Königsrede ohne auch nur ein verständliches Wort artikuliert zu haben und persifliert damit sehr gelungen die nichtssagenden Wörteraneinanderreihungen der jeweiligen Machthaber. Als wenn Kriegenburg geahnt hätte, dass die mittlerweile erstarrte Medea sich immer weiter von den Zuschauern entfernt hat, lässt er ihre beiden schwarzen Begleiter durch das Publikum wandern und heutige Liebesgeschichten erzählen, die als letzte Gefühlsaufwallung immer den Mord aus Enttäuschung haben und holt so das Geschehen von der blutroten Bühne wieder näher heran.

Ein wahrhaft unordentlicher, unappetitlicher Abend, der sich unkonventionell dem Thema der Medea nähert - und doch auch ein Abend, in dem Medea für die ordnende Kraft der Rache als Sühnung für Ungerechtigkeit steht und so für immer neuen Diskussionsstoff sorgt.

Birgit Schmalmack vom 15.12.01