Gotteskrieg



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Der Zweck heiligt die Mittel?

Die urige Szenelocation Schilleroper ist bis auf den letzten Sofaplatz gefüllt. Bierkästen werden herangeschleppt um die fehlenden Sitzmöglichkeiten zu ersetzen. Mit Bierflaschen, Weingläsern und Zigaretten lehnt man sich gemütlich zurück und bekommt Ungewöhnliches zu hören. Die Schauspielerin Judith Richter hält flammende Reden an ihre überraschten Zuhörer. Mit anspruchsvollen Diskussionsansätzen konfrontiert sie sie. Sie stellt anhand der Figur der Johanna von Orleans die Frage nach der Legitimation von Gewalt. Ist die Anwendung von Gewalt erlaubt, um Gutes für das Volk zu bewirken?

Das Textmaterial, aus dem sie eine Collage zusammen gestellt hat, stammt aus Gerichtsprotokollen der Johanna, Dramen von Bertolt Brecht, Anna Seghers und Friedrich Schiller, die sich aus verschiedenen Aspekten dieser Figur näherten. Dass das Anliegen zum höchst aktuellen Thema "Gotteskrieg" zu einem Erfolg zu später Sommerabendstunde wurde, liegt in hohem Maße an der bezwingenden Präsenz der exzellenten Schauspielerin, die die Aufmerksamkeit zu fesseln versteht. Vom ersten Moment ihres Eintritts verwandelt sie die Kneipe zum Theaterraum. Da wird der Tresen zum Gebirge, das Waschbecken zum Bach, die Wandlampe mit darunter liegenden Heizkörper zum Altar und die Flasche Bier zur Suppe aus der Armenküche. Judith Richter wechselt ihre Figuren nur durch die Art des Sprechens, die Blickrichtung oder das An- oder Ausziehen ihrer Armeejacke. Mal wirkt sie dabei wie eine Rednerin der Heilsarmee, die für die Erlösung durch Gott wirbt und Gewalt völlig ablehnt. Mal wie ein weiblicher Che Guevara, der für die Revolution alle Mittel einsetzen würde. Und wird dann wieder zu Jeanne d'Arc, die gegen die Engländer zu Felde zog. Zum Beweis ihrer Kaltblütigkeit holt sie dann ein Hähnchen aus dem Tresenkühlschrank, zerfleischt es vor den Augen der Zuschauer und wirft die Überreste in die Menge. Eine sehenswerte Aufführung, die in Hamburg leider nur an diesem einzigen Abend zu sehen war. Schade für alle, die diese schauspielerische Höchstleistung verpasst haben.

Birgit Schmalmack vom 2.8.04