Werther!


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Abendblatt

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Was ist des Menschen Herz?

Diese Frage stellt sich Werther angesichts seiner Gefühle, die mit ihm Achterbahn fahren. Des jungen Werthers Begeisterungs- und Leidensfähigkeiten bringt der Vollblutschauspieler Philipp Hochmair im Alleingang vor hauptsächlich jugendlichem Publikum, das von ihren Deutschlehrern zu einem Theatergang überredet wurde, voll zur Geltung. Die Kamera wirft Hochmairs Heldenbrust unter dem homergleichen Loorbeerkranz, seine überbordende Liebesfreude auf seinem Gesicht und die leicht angeschrabte Büste seiner angebeteten Lotte auf die Rückwand der Bühne der im Thalia in der Gaußstraße.

Die sinnreich verkürzte Fassung dauert eine gut verdauliche Stunde. Hochmair reicht ein Tisch, ein Stuhl und die Reclamausgabe um die Gefühlsaufwallungen bis hin zum dramatischen Ende nicht nur Jugendlichen nahe zu bringen. Nicolas Stemanns Inszenierung biedert sich nicht an, sondern widmet sich ganz der Sprache Goethes und sucht gleichzeitig Anknüpfungen an heutige Darstellungsformen. Der Dichterfürst interessierte sich schon vor über zweihundert Jahren für Lebensmodelle, in denen der Absolutheitsanspruch in der Liebe und in der Kunst mit denen konstrastieren, die ihr Ziel im schlichten Funktionieren in der Gesellschaft sehen. Stemann fand mit seinem hervorragenden Darsteller eine Umsetzung, die den zeitlosen Kernfragen des Textes mit dem nötigen Sinn für Ironie und dennoch in aller gebührenden Ernsthaftigkeit nachgeht.

Birgit Schmalmack vom 18.12.09