Wie lautet noch die unvergessliche Zeile? - Thalia in der Gaußstraße


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Gestern war ich noch so jung

"Schmeißt mich doch auf den Müll!" Eine abgetackelte Diva kommt sichtlich angetrunken im Bademantel auf die Bühne. "Willst du dir den Tag versauen, musst du in den Spiegel schauen", meint sie entsetzt, als sie im glänzenden Flügel erblickt. Einsam ist sie, von allen verlassen. Verflossene Liebhaber melden sich nur noch per Telefon. Das Alter zeigt sich mit Körperlosigkeit. Schnodderige Sprüche, Zigarettenqualm, Nachschub aus der Whiskeyflasche, Text- und Liedgut begleiten Karin Neuhäuser auf ihrer Reminiszenztour durch ein Bühnenleben. Sie spielt das Gretchen aus dem "Faust" ebenso überzeugend wie die Marquise aus den "Gefährlichen Liebschaften". Um gleich darauf die Dietrich zu werden mit einem hingehauchten "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt".

Ihre Modulationsbreite ist enorm: von zart über schrill, kräftig, burschikos, schlampig, verbittert bis eitel, verführerisch und lebensgierig ist alles dabei. Sie male sich die Wahrheit bunt. Ein Leben auf Probe gebe es nun mal nicht. "Ich mache keinen Sport, schließlich laufe ich schon jeden Tag Amok."

Die Neuhäuser wandelt sich im Verlauf des Abends von der Alkoholikerin zur feinen Diva im weißen Spitzenkleid. Irgendwann ist sie die Maskerade leid und zieht sich die blonde Perücke vom Kopf. Ein Haarnetz kommt zum Vorschein. Erst zum Schluss schüttelt sie ihren eigenen braunen Haarschopf. Ihr Double am Klavier und gleichzeitige, junge Verkörperung ihrer Vergangenheit folgt ihr stets. Das es sich hier um den Musiker Philipp Haagen handelt, ist nur ein Gag an Rande. Schließlich geht es hier um Theater. Und wie sagt sie am Ende: "Ich bin nicht die Schauspielerin, ich bin die Rolle und das Spiel."

Die Intention und der Inhalt des Abends sind schnell durchschaut. Doch Neuhäuser kostet das stetige Spiel mit Realität und Show, Rolle und Person, Wahrheit und Lüge so genüsslich aus, dass der vermeintliche Blick in die Seele einer Vollblutschauspielerin dem Abend den nötigen Kick verleiht.

Birgit Schmalmack vom 7.3.11