Tango Seduccion


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Das Spiel der Geschlechter

Vor der Pause war die Welt noch in Ordnung. Die Männer hatten das Sagen. Sie wirbelten die Frauen ganz nach ihrem Gutdünken herum. Diese schienen zu fliegen. Ihre mangelnde Bodenhaftung steigerte den Wert der Männer; die brauchten sie um bei der Landung wieder Halt auf ihren hohen Schuhen zu bekommen. Wurde eine aussortiert, wartete schon die nächste, die sich den Machoallüren gerne unterordnete. Nur hinterm Rücken der Männer konnten die Frauen versuchen durch dezentes Beinhakeln den Kontakt mit neuen Kandidaten einzufädeln. Gruppenchoreographien wechselten mit erotischen Pas de deux. Das zeugte zwar alles von hohem tänzerischen und akrobatischem Leistungsvermögen, war aber zu brav, um wirklich spannend zu sein.

Erst nach der Pause wurde es richtig interessant. Denn nun wendete sich das Blatt: Während vor der Pause die Machtverhältnisse klar geregelt waren, begehren jetzt die Frauen auf. Jetzt angeln sie sich die Männer, wie es ihnen gefällt. Mädchengangs regeln die Situationen in eigener Regie. Männer brauchen sie nicht mehr, sie können sich selbst ihrer Haut erwehren. Allerdings offenbaren auch sie ihre gesellschaftliche Prägung: Ihre Regeln sind schlicht von ihren männlichen Vorbildern abgeguckt. Auch sie greifen zum Revolver, auch sie zücken bei Streitigkeiten das Messer.

Auch nach dem Aufbegehren der Frauen herrscht das Spiel mit dem anderen vor, für es allerdings keine bessere Ausdrucksform als den Tango geben könnte. Wie die Körperteile den Partner umzüngeln, wegstoßen, anziehen, hochwerfen und gleichzeitig ihren Marktwert austarieren, illustriert den Umgang mit dem anderen Geschlecht, wie Ensembleleiter Gustavo Russo ihn sieht, auf sehr sprechende Art.

Die zwölf Tänzer und fünf Musiker von Tango Seduccion haben den Tango verstanden.

In Tango Seduccion schafft es das Ensemble Gefühle zu tanzen und ganze Dramen ohne Worte zu erzählen. Dass sich der Tango sich dafür brillant eignet, hat Russo mit seiner Show bewiesen.

Birgit Schmalmack vom 10.8.11