Lust auf was anderes


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Ich kann töten

"Türken wollen keinen Kontakt mit Deutschen"
"Türken können kein Deutsch"
"Türken schaffen keinen Schulabschluss"

So tönt es aus den Lautsprechern. Aylin Esener steht auf der kleinen weißen Bühne vor ihrem Mikro und versucht Fakten gegen die Klischees zu setzen. Sie nennt klares Zahlenmaterial aus neueren Statistiken. Doch der Abend "Lust auf was anderes", den die Schauspielerin aus Berlin mit ihren zwei Musikern im Terrace Hill im Rahmen des Kaltstart-Festivals vorführte, war alles andere als trocken. Das Allround-Talent Esener serviert die Daten unterhaltsam umrahmt von fetzigen Rocksongs, kabarettistischen Plaudereien und zwei schauspielerisch versiert dargebotenen Lebensgeschichten.

Die eine ist ihre eigene. Sie schildert ihr deutsch-türkisches Leben mit zwei Kulturen anekdotenreich und mit viel Sinn für Humor und Selbstironie. Im direkten Kontrast steht dazu die zweite Geschichte, die Autor Wolfgang Vincke bei seinen Recherchen im Aachener Ostviertel erzählt bekam. Sie handelt von der Zwangsverheiratung einer jungen Frau. Esener erzählt von Ayses Misshandlungen in der Ich-Form. Sie macht damit deutlich, dass diese Geschichte auch die ihre hätte sein können. Doch Esener hat sich im Unterschied zu Ayse zu wehren gelernt. Sie könne töten, meint sie mit eindeutiger Handbewegung.

Zum Schluss fragt sie sich nachdenklich: "Warum hat keiner was gesagt?" Aber braucht es für eine Einmischung nicht die Gewissheit, was richtig und falsch ist? "Genau diese Gewissheit habe ich aber verloren. Vorverurteilen will ich nicht mehr." Relativierungen wiederum sind hinderlich bei klarer Positionsbeziehung, weiß sie auch. Antworten gibt dieser Abend nicht, aber viele Anregungen zum Weiterdenken.

Birgit Schmalmack vom 18.7.08