Friedensreich Doitschland



Zur Kritik von
Freitag

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Deutschlandbild im Patchworklook

Schwarz-rot-golden hängt die Fahne im Bühnenhintergrund. Sie ist ein Flickenteppich aus Küchenkaro, Brokat, Blümchenstoff, Goldflitter und türkischer Flagge. Katja Riemann präsentiert ihre Eindrücke von "Doitschland", um die Frage zu klären, in welchem Land wir eigentlich leben. Es ist eine interessante Mischung, die sie zusammen mit dem Gitarristen Arne Jansen anrichtet: Rammstein-Lieder folgen auf Sybille Berg-Texte. Geschichten über das Glück der armen Seelen in Schrebergartensiedlungen knallen auf den Wunsch nach Zerstörung jenseits der Zäune. Betrachtungen über die Kleinstadt-Beschaulichkeit von Caustrop-Rauxel mit seinem Tschibo-Zierkissen-Virus auf die bittere Erkenntnis "Weiter ins Verderben, wir müssen leben bis wir sterben". Die Selbstkritik einer Journalistin, die ihren Atem aus dem Leben der Anderen zieht auf die Beschwörung "Hier kommt die Sonne". Wenn Berg den Tod einer weiteren Illusion in Form einer im Bett liegenden Liebe in einer allzu hellen Nacht erlebt, sieht Rammstein dieses Bett in Flammen stehen.

Riemann ist eine wunderbar facettenreiche Rezitatorin und Sängerin. Sie schmeichelt, droht, säuselt, schreit, flirtet, kreischt, lacht, jubiliert und dämonisiert. An der Dramaturgie des Abends ist nichts auszusetzen. Gekonnt wird mit den Effekten nicht nur an der Soundmaschine gespielt. Laut bricht leise, witzig trifft auf nachdenklich, zart begegnet brachial. Zu der Frage, was dieses Deutschland nun ausmacht, liefert Riemann mit ihrer Berg- und Rammstein-Auswahl nur einige Flicken zu der angehängten Patchworkflagge. Doch vielleicht spiegelt dieses Bruchstückhafte das persönliche Bild eines Landes viel besser wieder als der Versuch einer Vollständigkeit.

Birgit Schmalmack vom 11.10.10