Die geborgten Kleider meiner Freundinnen


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Nachtigall in Not

Irene ist wieder einmal in der Teilchenzusammenführungsanstalt gelandet. Seit 25 Jahren beschert ihr der dauernde Bio-Krieg ihrer Nervenzellen immer wieder ein Wiedersehen mit Frau Dr. Rienke in der Psychiatrie. Irenes Mutters bekam statt eines "normalen Kindes" eine Gesangsmaschine, die sie für übergeschnappt hält. Der Vater ist dagegen stolz auf sein Wunderkind und unterstützt ihre hochfliegenden Karrierepläne. Doch die überforderte Mutter hält einen Schreibmaschinenkurs für zukunftsfördernder als das vom Vater anvisierte Stipendium in Paris. Von diesen unterschiedlichen Erwartungen und ihren eigenen Wünschen zerrissen und erdrückt, erfindet Irene sich mit Irmgard Keun und Djuna Barnes Freundinnen. Die Schriftstellerinnen ersetzen ihr die realen Vertrauten. So bekommt Irenes Realität Risse. Ihre Welt gerät ins Rutschen. Das banale Sekretärinnenleben erscheint wenig verlockend. Für das verlockende Künstlerdasein fehlt ihr dagegen Stärke und Selbstbewusstsein. Da kann auch die Dr. Rienke empfohlene Ersatzfreundin, die Pharmaindustrie nicht helfen.

Claudia Claus ist eine Idealbesetzung für die kapriziöse Persönlichkeit der jungen Frau. Sie kann sowohl die Jugendlichkeit und Energiefülle des Kindes, die Orientierungslosigkeit und Wut der Jugendlichen und der Traurigkeit und Verwirrtheit der Frau Ausdruck verleihen. Als ausgebildete Sopranistin verleiht sie dem Stück "Die geborgten Kleider meiner Freundinnen" durch ihre volle, ausdrucksstarke Stimme die passende Atmosphäre. Das Multitalent Claus hat zudem den Text zu dem spannenden Stück im Monsuntheater geschrieben. In kurzen prägnanten Szenen lässt sie die Entwicklung der begabten Künstlerin Revue passieren und nachvollziehbar werden. In Ulrike Johannsen hat sie ein adäquate Mitspielerin, die mit Leichtigkeit in die verschiedenen übrigen Rollen schlüpft.

Ein interessanter Abend, der einfühlsam Verständnis schafft für das vermeintlich Unnormale und der Schubladendenken hinterfragen lässt.

Birgit Schmalmack vom 21.2.05