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Vanja, Winterhuder Fährhaus

Vanja, Winterhuder Fährhaus

© Franziska Strauss

Die am Leben Leidenden





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Eigentlich leiden alle an demselben Phänomen: Verpasste Chancen, enttäuschte Träume und nicht erfüllte Sehnsüchte prägen ihr Leben. Sie alle träumen von Beziehungen, Karrieren und Erfolgen, die sich nicht ergeben. In Tschechows Stücken vertagen die Protagonisten ihre Sehnsüchte gerne auf die Zukunft und leiden an der Gegenwart. Konsequent hat Simon Stephens in seiner Stückadaption "Vanya" (vom Original „Onkel Wanja“) alle Personen zu einer zusammengefügt. Zusätzlich hat er das Stück von einem russischen Gutshof auf einen irischen Kartoffelhof verlegt. Zwar haben die Personen noch unterschiedliche Namen (Ivan, Alexander, Helena, Sonia, Michael oder Elisabeth), werden aber alle von einem Schauspieler (Oliver Mommsen) gegeben. So könnte es sich also auch um einen inneren Monolog halten, den Vanja mit sich selbst führt.

Allerdings sieht es erst einmal auf der mit allerlei Einrichtungsversatzstücken vollgestellten Bühne im Winterhuder Fährhaus so aus, als wenn Mommsen zwischen den verschiedenen Rollen hin und her wechselt. Er springt in dem Wohnzimmer, das mit einem Fernseher, einem großen Regal mit lauter VHS-Kassetten, zusammengewürfelten Stühle, einem alten Kühlschrank, einem Esstisch mit Geschirrstapeln und einem großen Schrank ausgestattet ist, hin und her. Setzt sich mal auf diesen Stuhl, mal auf den gegenüberstehenden. Zieht sich mal einen Bademantel an, nimmt mal einen Fächer oder eine Brille in die Hand, spricht mal in einem Kölschen Dialekt oder kriecht mal unter den Tisch, um einen Figurenwechsel anzudeuten. So gilt es zunächst für die Zuschauenden nicht den Überblick zu verlieren. Dabei hilft, dass Mommsen oft das vermeintliche Gegenüber mit Namen anredet.

Doch bald wird klar: Eigentlich sind alle diese Personen nur Varianten ein und derselben Person. Alle vom Leben enttäuschte Menschen auf diesem Hof verkörpern einen Menschentypus, der all seine Hoffnungen auf eine nie zu erreichende Zukunft verlagert. Irgendwann werden sich unsere Anstrengungen schon lohnen, also machen wir erst einmal so weiter wie bisher, so scheinen diese Menschen zu denken. Wunderbar eingefangen in dem letzten Bild, wo Sonia, Vanjas Nichte, spricht. Während sie sich auf das Ende des Lebens vertröstet, wenn sich alles zu einem Sinn fügt, versucht sie die auf dem Boden verstreuten Kartoffeln wieder in den Schrank zu schichten. Was aber misslingen muss, da die Regalböden schräg eingebaut worden sind. Der Konstruktionsfehler des Lebens führt dazu, dass alles Mühen und Schuften vergeblich bleiben muss.

Oliver Mommsen bewältigt seine darstellerische Mammutaufgabe grandios. Er interpretiert die verschiedenen Variationen dieser enttäuschten Menschen wie nebenbei, völlig klischeefrei und unaufgeregt. Er deutet den Perspektivenwechsel nur mit einer minimalen Haltungsänderung oder mit einem kleinen Tonwechsel an. Dazu passt, dass seine Kleidung mit Strick-Polo-Shirt zu Hose und Nickituch keinerlei Hinweise auf eine Zugehörigkeit gibt. Er trägt Lidschatten zu Männerhaarschnitt und nur ein paar seiner Fingernägel sind rot lackiert. Er kann alles sein, denn er gibt der Enttäuschung nur unterschiedliche, vielgestaltige Ausformungen. Das gelingt ihm bewundernswert souverän. Einzig wenn er für einen angedeuteten Dialog von einem Stuhl auf den nächsten hüpft oder in den Schrank schlüpft und wieder hinaus, bekommt dies etwas Bemühtes. Hier hätte Regisseur Felix Bachmann die Realitäts- noch klarer in die Abstraktionsebene verschieben können. Dann hätte die Universalität der gezeigten Lebensenttäuschung noch deutlicher werden können.

Birgit Schmalmack vom 18.9.25

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