Ein Spieler spielt einen Spieler

Mein Name sei Gantenbein, BE Foto: Matthias Horn

In dieser Inszenierung wird jeder das finden, was er sucht. Es ist eine sehr anschlussfähige Umsetzung des eher verrätselten und nachdenklichen Romans von Max Frisch "Mein Name sei Gantenbein", in dem Regisseur Oliver Reese seinem Solodarsteller Matthias Brandt viel Raum gibt, alle erdenklichen Spielarten seiner Ausdrucksweise zu zeigen. Er hat ihn dafür sogar in den richtigen Rahmen gesetzt. Umgeben von einer Lichtleiste, deren Umrisse an ein klassisches IPhone erinnern, schwebt Brandt in einem holzvertäfelten Kasten etwa einen halben Meter über der Bühne. Hier erfindet er sich seine Geschichten, die er für sein Leben halten könnte. Brandt schlägt dabei leise, verzweifelte, ironische, witzelnde, wütende, selbstkritische, humorvolle und kreischende Töne an. Er ist ohne Zweifel ein Schauspieler, der all diese Facetten sehr souverän abrufen und einsetzen kann. Er spielt mit ihnen, wie der Protagonist des Romans mit seinen Identitäten spielt. So wenig wie dieser Mann, der mal Swoboda, mal Enderlein, mal Gantenbein ist, sich auf eine Persönlichkeit festlegen mag, so wenig legt sich Brandt auf eine psychologisch stringente Darstellungsform fest. Er ist der geborene Spieler und er verkörpert einen Spieler.

"Ich stelle mir vor: Mein Name sei Gantenbein", so wird dieser Mann zu einem Blinden, der sein Blindsein nur spielt. Auf diese Weise gewinnt er die Gunst einer Frau namens Lila, der an ihm gerade gefällt, dass sie in seiner Gegenwart der Äußerlichkeiten enthoben ist. Doch "einen Blinden kann man nicht hinters Licht führen." Und einem nur vorgeblich Nichtsehenden nichts verbergen, auch nicht dass die Schauspielerin Lila Gantenbein auf all ihren Tourneen betrügt. Erst nachdem er sieht, dass sie ihre Liason beendet hat, gesteht er ihr, dass er auch sie betrogen hat, mit seiner vermeintlichen Blindheit. Das ist dann das Ende ihrer Beziehung.

Doch der Protagonist findet sich auch spielend auf der anderen Seite wieder. Nun stellt er sich vor, er sei ein Mann namens Enderlein, der eine Liason mit einer verheirateten Frau unterhält. Und mit Hilfe einer Karnevalsbrille stellt er sich ebenfalls vor, der betrogene Ehemann Swoboda zu sein. Doch damit nicht genug: Brandt schlüpft ebenfalls in die Rollen der zwei Frauen, der Ehefrau Lila und seiner Manikürepflegerin Camilla.

Die Identitätssuche, die schon Frisch umtrieb, ist immer noch hochaktuell. Wenn sie heutzutage eher im Netz ausgelebt wird, wie der IPhone-Leuchtrahmen andeutet, sicher mit anderen Ausdrucksformen. Da zeugen Brandts und Reeses Darstellung doch eher von einem unterschwelligen Altherrenblick. Wenn Brandt "Geschlecht, Geschlecht" auf dem Krankenbett stöhnt, wenn er die Frauen- (und auch die Männer-) rollen sehr eindimensional anlegt, wirkt das nicht so heutig. Und wenn er versucht die Selbstironie des Protagonisten in Verzweiflung münden zu lassen, mutet diese zum Teil etwas zu dick aufgetragen an, um glaubwürdig zu sein. So wirkt auch diese letztendlich gespielt. Echt ist hier eben nichts. Selbst als Brandt zum Schluss aus dem Rahmen aussteigt, an der Bühnenrampe ins Publikum spricht und nun ganz in der Gegenwart angekommen zu sein vorgibt, weiß man nicht, ob er sich nicht nach seinem Abtritt hinter der Bühne nur den nächsten Rahmen für seine neuen Geschichten suchen wird.

Das Publikum im Thalia Theater, das das Gastspiel des Berliner Ensembles im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals verfolgte, ließ sich mit großem Vergnügen von Brandt in seine Fantasiegeschichten entführen und feierte die Abschlussproduktion mit Standing Ovations. Eineinhalb Stunden intelligente Unterhaltung durch einen Schau-Spieler der Extraklasse animierte es zu minutenlangem begeistertem Applaus.

Birgit Schmalmack vom 16.6.23