Drei Schwestern aaf berlinerisch

Sistas!, Thalia © Greta Markurt

Voll plüschig, alles hier. Auf dem Boden liegt ein hochfloriger graublauer Teppichboden, das Sofa ist aus rosa Veloursstoff, ein riesiger ebenfalls rosafarbener Teddy liegt neben dem Klavier. Und die drei Sistas sind ebenfalls in schickes Altrosa gekleidet, mit Puffärmeln, mit Businessblazer und trendy Jeansoutfit. Je nach Alter. Und schön sauber soll hier alles sein. So wird der Hoover über die Teppichlandschaft geschoben. Man ist hier schließlich in Zehlendorf in einer schönen, präsentablen Altbauwohnung. Es ist das Jahr 1994 in Berlin. Oder doch das 19. Jahrhundert, irgendwo auf dem russischen Land? Denn "Sistas" ist eine Überschreibung (Golda Barton) der "Drei Schwestern" von Tschechow. Während diese jedoch von Moskau schwärmen, träumen diese drei Frauen (Isabelle Redfern, Diana Marie Müller, Iman Tekle ) von Amerika. Nicht ungewöhnlich für junge Leute in Deutschland, doch für diese Drei bedeutet das noch mehr: Ihr Vater ist ein ehemaliger GI, den ihre deutsche Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg kennenlernte. Doch die Eltern trennten sich und der Vater entschwand nach Amerika. Nun ist er endlich wieder zu Besuch. Auf Einladung der mittleren Schwester Olivia, pünktlich zum Geburtstag der Jüngsten, Ivy. Das passt Masha, der ältesten, gar nicht. Sie hadert immer noch am stärksten mit dem Abtauchen des Vaters. Es entschwand damit schließlich auch die schwarze Identifikationsfigur in einer völlig weißen Umgebung.
In einer Szene wünscht sich Ivy, die von einer Schauspielkarriere träumt, ein Engagement an einer großen Bühne. Masha fragt sie zynisch: Und als was sollen sie dich besetzen? Zum Beispiel als Schwester in Tschechows Stück, entgegnet Ivy. Und die anderen Schwestern sind die dann etwa auch schwarz? So wird mal eben die deutsche Theaterwirklichkeit mit auf die Bühne geholt. Deshalb brauchte es auch diese freie Produktion von Isabelle Redfern und Katharina Stoll, die zunächst im dritten Stock der Volksbühne stattfinden sollte. Sie ist komplett mit PoCs besetzt und katapultiert so einfach den Wunsch von Ivy in die Realität.
Herrlich unkonventionell wird nun das philosophische Gerede der russischen Intellektuellen und Großgrundbesitzer in die heutigen Diskurse einer multiperspektivischen und diversen Gesellschaft transformiert. Da wird mit Klischees gespielt, mit Rassismusvorwürfen jongliert, nebenbei der Sinn und Zweck von Tokenismus analysiert und Machtverhältnisse infrage gestellt. Zusammen mit der einstigen Reinigungskraft und späteren Hausbesitzerin (Amanda Babaei Vieira) und dem asiatischen musizierenden Hausgeist (MING), der plötzlich elaboriert Deutsch sprechen kann, zaubert diese Crew einen selbstironischen Ritt durch sämtliche politisch unkorrekten Diskussionsfelder, die Berlin so zu bieten hat. Das ist gekonnt, unterhaltsam und dennoch nicht oberflächlich. Wenn das dann noch mit klassischem Liedgut und Squaredance kombiniert wird, um die verschiedenen kulturellen Wurzeln auch sinnlich zu erleben, wird daraus ein toller Abend, den man nun auch beim Gastspiel im Rahmen des Nachbarschaften-Festivals in Hamburg erleben durfte.
Birgit Schmalmack vom 30.11.23