Ganz im Nebulösen

No horizon, Thalia Foto: Fabian Hammerl


Ein verlassener Spielplatz, mit Rutsche und Klettergerüst, die schon bessere Tage gesehen haben. Eine altmodische Kugellampe und eine unbequeme Betonbank vervollständigen den Platz. Der Lack blättert überall ab und der Nebel wabert über die Szenerie. Aus ihm tauchen vier Gestalten (Julian Greis, Steffen Siegmund, Felix Knoop, Maike Knirsch) auf. Doch sie scheinen sich weniger in diesem Lost Place zu bewegen als vielmehr in einer imaginären Welt. Denn sie sehen Blumen, die sich langsam entfalten, sie sehen Seen, auf denen das Licht glitzert, sie erkennen Namensschilder, die aufleuchten. Sie kommen aus der anderen Welt und sind hier in einer neuen gelandet, die sie "No horizon" nennen. Eine außergewöhnliche Welt in einem Metaversum, das aber nicht nach kapitalistischen Gesichtspunkten konstruiert worden sei, wie einer von ihnen betont.
Da ist nun die Frau, die sich ein wenig schräg in die Welt gestellt fühlt, der Mann, der seinen Körper am liebsten abtrennen und nur aus seinen enorm voluminösen Haaren bestehen würde, der Mann, der sich kein Aussehen gegeben hat und deswegen nur durch die Verschiebung der Bits um ihn herum zu erkennen ist, und der unscheinbare Mann, der sich einen ganz gewöhnlichen, braunen Anzug gegeben hat, um möglichst unauffällig zu bleiben. Diese Vier philosophieren jetzt hier in diesem Universum über die ungeahnten Möglichkeiten ihrer neu gewonnenen Freiräume. Scheinbar ohne monetäre Beschränkung, ohne Ansehen des Äußeren, ohne Hektik, mit Muße und Verständnis für den Anderen wagen sie sich sogar auf die Suche nach der Schöpferin dieser Welt (Sylvana Seddig) zu machen. Sie soll in einem Leuchtturm wohnen. Also begeben sie sich gemeinsam auf den Weg zum Meer. Doch hier, wo sonst der Horizont zu sehen ist, erleben sie, was der Name dieser neuen Welt bedeuten kann: Es gibt keinen Horizont und damit auch keine Grenze zwischen Himmel und Wasser, kein Ende, keine Haltepunkte. Sie merken, wie verunsichernd das sein kann. Lösen sie sich jetzt auch auf, wenn sie sich in diese Weite und Freiheit begeben? Braucht der Mensch die Begrenzungen, die Regeln, um selbst Orientierung zu bekommen und sich nicht zu verlieren? Und passiert dies nicht ständig im Theater, wo doch alles möglich scheint? Das fragt der Regisseur Toshiki Okada mit vier Schauspieler:innen aus dem Ensemble in seiner zweiten Regiearbeit am Thaliatheater. Es wird ein philosophisches Experiment, in dem er die Darsteller:innen nicht nur mit ihren Stimmen, sondern auch mit ihren Körpern sprechen lässt. Besonders Julian Greis und Steffen Siegmund lassen ihre Hände, Arme, Beine und Rümpfe zu ihren Überlegungen so ein eigenes Alphabet erfinden, das dem Gesagten weitere Ebenen hinzufügt. Da expandiert Greis Haarschopf bis in gigantische Ausmaße und Siegmunds eigentliche Unsichtbarkeit wird so raumgreifend, dass er Diskurs bestimmend wird. Dennoch bleibt diese Arbeit hinter dem Eindruck, den Okada mit seiner ersten Thaliaarbeit "Doughnuts" erreichen konnte, zurück. Hier bleibt der Abend ganz im Imaginären, im Nebulösen und es fehlt die Ebene der Bezüge mit gesellschafts-politischer Relevanz, die Doughnuts so spannend machte.

Birgit Schmalmack vom 27.12.23

Zur Kritik von

nachtkritik 
SZ