Überwältigungstheater

The employeers, Lessingtage Foto: Natalia Kabanow



Ein abgeschlossener Kubus steht in der Mitte der Bühne. Die Zuschauer:innen sitzen an vier Seiten um ihn herum auf Treppenstufen. Jederzeit während der Performance dürfen sie ihren Platz und ihre Perspektive wechseln. Doch das deutschsprachige Publikum in der Gaußstraße wird es nur während der Pausen tun, da sie ständig die Übertitel des polnischen Originals im Blick behalten wollen, die auf die Leinwände des Kubus projiziert werden. In diesen Pausen wummert laute Technomusik, die bis in die Magengrube fährt. Die drei Pausen, die stets haargenau drei Minuten dauern, machen eine Ausrichtung der Inszenierung Łukasz Twarkowski mit dem Ensemble des STUDIO teatrgaleria aus Warschau klar: Es geht ihm und seinem Team weniger um den sprachlichen Inhalt als vielmehr um die damit verbundenen Emotionen.

Zum Setting nach dem Roman von Olga Ravn "Die Angestellten": Auf einem Raumschiff sind sieben Versuchspersonen (Dominika Biernat, Daniel Dobosz, Maja Pankiewicz, Sonia Roszczuk, Paweł Smagała, Rob Wasiewicz, Miron Smagała) für ein Experiment zusammengepfercht, nein eigentlich 14. Denn alle gibt es in zweifacher Ausfertigung: einmal als Person, die geboren, und einmal als Person, die programmiert worden ist. Alle werden nun auf dem engen Raum unter ein strenges Reglement gesetzt, in dem sie nur vorgezeichnete Rollen übernehmen und ständig überwacht werden. Auf der Bühne wird das deutlich durch die durch durchsichtige Planen abgegrenzten Gänge und schmalen Korridore, die im Innern des Kubus den Bewegungsspielraum der Personen begrenzen. Die Kameras verfolgen sie dabei ständig und übertragen die Bilder vom Inneren auf die Leinwände. So ist die digitale Vermittlung mit ständigen Glitches zwischen Realität, die im Kubus durchschimmert, und den Kamerabildern nicht nur ein Mittel der Vermittlung, sondern auch der Irritation. Denn die Grenzen zwischen den Humanoiden und den Robotern sind kaum erkennbar. Nur ab und zu kann man anhand kleiner Schnipsel ihrer Dialoge erkennen, wer zu welcher Kategorie gehört. Denn es geht zunehmend um die Frage, ob das Gehirn der von KI konstruierten Wesen auch eine Seele besitzen kann. Sind die Duplikate zu Gefühlen fähig? Im Laufe des fast dreistündigen Abends entwickeln die Personen in dem Raumschiff so eine Bedürftigkeit nach Beziehung und Nähe, dass sie kleine Restbestände an fehlenden Fähigkeiten des jeweiligen Gegenübers in Kauf nehmen. Der Regisseur macht das deutlich, indem er die Schauspieler:innen in dem Kubus, dessen Außenwände in jeder der drei Pausen weiter geöffnet werden, immer weniger sprechen und noch mehr Bilder produzieren lässt. Sie nähern sich zunehmend auf der Gefühlsebene an, treten in körperlichen Kontakt zueinander und lassen so die KI auch in diesem Segment weiter lernen.

Die Organisation, die dieses Experiment gestartet hat, bricht es am Ende als erfolglos ab, stellt aber in Aussicht, dass es weitere geben wird. Dennoch: Die Protagonisten wollen weitermachen, sie werden in ihrer neuen Erlebniswelt weiterleben, nach ihren eigenen Regeln. Die Beziehung zu den Artefakten, die es aus der alten Welt es in das Raumschiff geschafft haben, nimmt in Ravns Buch einen großen Raum ein, auf der Bühne wird versucht, eine adäquate Umsetzung dafür zu finden. Doch das Spiel mit dem Stein im Aquarium und mit dem Modell einer Naturlandschaft bleibt sehr rätselhaft. Einzig mit dem letzten Gegenstand, einer Metallkugel, gelingt im Liebesspiel zwischen zwei Protagonistinnen eine Bildersprache, die ihre neu entdeckte Sinnlichkeit unterstreicht.

So nimmt einen die Inszenierung in eine neue, mit technischen Mitteln überhäufte Welt mit hinein, die kaum einen Raum für direkten Kontakt lässt. Ebenso wie die Personen auf der Bühne zunächst kaum Beziehungen aufbauen können, ist das Publikum von den Schauspieler:innen getrennt. Das Live-Theater wird digital übermittelt und damit der Unmittelbarkeit und Überprüfung entzogen. Passend für den gesetzten Rahmen des Experiments. Hier gibt es wirklich vier Wände, die draußen und drinnen deutlich trennen. Was real und was konstruiert ist, bleibt im Unklaren und löst diffuse Gefühle aus. Man ist fasziniert von dem ständigen medialen Gewimmel auf der Bühne und bleibt dennoch draußen vor. Gefühle der Betroffenheit stellen sich kaum ein, dafür braucht es schon die Technomusik in den Pausen. Ein sehr modernes Theater der technischen Überwältigung bei einer gleichzeitigen Erzeugung von Leere. Besser kann man kaum die Entwicklung der heutigen Medienwelt deutlich machen. Nach drei Stunden geht man abgefüllt und dennoch seltsam leergesaugt hinaus.

Birgit Schmalmack vom 29.1.24