Membra. Als ich im Sterben lag, HfMT

Membra. Als ich im Sterben lag, HfMT (c) engerfoto

Gesang an das Leben und den Tod



Wie ein Aussichtsturm steht das Holzgerüst auf der Bühne. Doch eine Treppe für den Aufstieg gibt es nicht. Stattdessen betätigen die fünf jungen Leute eine Klappe und das Sammelsurium eines gelebten Lebens fällt herunter. Klappstühle, Tonscherben, Bilder, Decken, Luftballons, defekte Möbelstücke, Verpackungsfolie - alles kracht auf den Boden. "Membra. Als ich im Sterben lag" wird zu einem Gesang an das Leben und den Tod. Die zu Grunde liegende Dichtung besteht aus sieben Teilen, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind: Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht. Dieterich Buxtehude hat sie für ein barockes Kammerorchester und fünf Sänger vertont.
Martin Mutschler hat sie jetzt für seine Abschlussinszenierung der Theaterakademie Hamburg zur Wiedereröffnung des neuen Forums in der Musikhochschule auf die Bühne gebracht. Er kontrastiert die barocke Musik nicht nur mit fünf jungen frischen Sängern, die zugleich Tänzer und Darsteller sind, sondern auch mit Interviews von Krebspatienten aus dem UKE. Er stellt die Musik gleichberechtigt neben die anderen Elemente seines Musiktheaters. Er lässt zu, dass die Geräusche der fallenden Tonscherben, der knallenden Stiefel, die trampelnden Schritte zum Teil die Musik übertönen. Er erlaubt, dass die Aktionen der Sänger die Aufmerksamkeit der Zuschauer zum Teil so weit von der Musik wegführen, dass sie fast zur Nebensache wird. Kurz vor Ende lässt er den Sänger sogar so lange mit spritzenden Wasserflaschen über die Bühne hetzen, dass dieser kaum noch Atem für die Musik übrig hat. Mutschler setzt Pausen des Innehaltens, wo die Musik eigentlich einen Fluss erzeugen will.
Doch dies ist nur folgerichtig. Im Angesicht des eigenen baldigen Todes geraten feste Größe ins Straucheln, manches wird fraglich, etliches erfordert ein erschrockenes Innehalten, ein abwartendes Fragen, aber auch ein gegenseitiges Trösten, ein Ordnen, ein Erinnern, ein Verstauen, ein Festhalten und ein Entgleiten. Für all das findet Mutschler wunderbar schlüssige Bilder. Er lässt ein Bäumchen auf der Bühne pflanzen, er lässt Gedichte in unterschiedliches Sprachen vorlesen, er lässt Herzluftballons verschenken, er lässt umarmen, er lässt stolpern und straucheln. Kurz vor Ende öffnet sich der eiserne Vorhang und eine Nebelwand erscheint, in die die Sänger entschwinden. Was der Übertritt ins Jenseits sein könnte, entpuppt als eine unsichtbare, aber hörbare Wasserschlacht, von der die Sänger wieder auf die Bühne zurückkehren, um danach aufzuräumen. Dazu lassen sie die Aussichtsplattform herunter und nutzen sie als Stauraum für all ihren Lebenskrempel.
Ein tolles Musiktheater, das den Mut bewies, die Vorlage in all ihrer barocken Schönheit mit den tollen Stimmen (Lucía Caihuela, Francesco Giusti, Michael Hanisch, Markus Paul, Lisa Schmalz) bestens zu Geltung kommen zu lassen und ihr dennoch einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken.
Birgit Schmalmack vom 27-11-17