Die Pilze übernehmen

The mushroom queen, DSH © Hendrik Lietmann

Ein Ehepaar ruht des Nachts in einem riesigen weißen Bett mit zwei Hunden zu ihren Füßen und vor einem Ausblick in einen schön angelegten Garten. Alles sieht nach idyllischen Verhältnissen aus. Doch die Frau (Ute Hannig) kann nicht schlafen. Sie treibt eine Unruhe um, die sie nicht deuten kann. Sie schiebt die Terrassentür auf und betritt den gepflegten Rasen. Es verlangt ihr nach einer Veränderung und nach einem Abenteuer. Was gäbe sie für eine Doppelgängerin, die für einige Zeit die Stelle an der Seite ihres Mannes (Markus John) ausfüllen würde. Schon steht eine solche Gestalt vor ihr und drückt sie unter die Erde. Die Frau wird ihr Abenteuer bekommen, allerdings eines ohne Wiederkehr. Die Mushroom Queen, die statt ihrer ihre Position übernimmt, kann zwar nicht sprechen, mag keinen Käse, benimmt sich auch sonst seltsam, aber hat viel schönere Haut und hat morgens Lust auf Sex. Ihr Mann nimmt die Abwechslung gerne an.

Derweil verwandelt sich die Frau unter der Erde immer weiter. Sie nimmt die kleinteilige Form von Pilzen an, die sich mit allem verbinden können. Sie erlebt ein Netzwerk mit einem nie gekannten Gemeinschaftssinn, der oben nicht existiert. Sie ist fasziniert und verängstigt zugleich. Irgendwann will sie zurück. Doch die Rückerlangung ihrer früheren Gestalt misslingt. Auch das Haus hat sich inzwischen verändert: Überall sind Pilze aus dem Boden geschossen. Ein Pilzstengel sieht genauso aus wie das Bein der Frau. Sie ist jetzt Teil von allen, hat aber ihre ursprüngliche Identität verloren. Die unbewussten und unterdrückten Begierden der Frau nach Verbundenheit, Verschmelzung und Gemeinschaft trieb sie in die Selbstauflösung. Sie nimmt den Tod vorweg, der genau diese Pilzwerdung in der Einwebung ins Myzel zur Folge haben wird.

Diese Kurzgeschichte von Liz Ziemke hat die Jungregisseurin Marie Schleef fast ohne gesprochene Worte auf die Bühne des Malersaals gebracht. Vor dem Fenster zum Garten, das sich bei Bedarf auch in die Projektionsfläche der Vorgänge in der Unterwelt verwandeln kann, entfaltet sich das wortlose pantomimische Spiel der vier Performenden. Das ist ungewohnte Kost für ein Schauspieltheater.

Ein entschleunigter Abend, der alles Menschliche Stück für Stück verschwinden lässt und dem Animalischen das Feld überlässt. Er entführt in eine Zeit nach dem Anthropozän. Die Natur übernimmt die Herrschaft und erweist sich als anpassungsfähiger als der Mensch. Pilzwesen sind dem Menschen überlegen. Sie sind wandlungsfähig und können sich von Abfällen ernähren. Sie sind somit Experten im Recycling, ideal auf eine ressourcenschonende Zukunft eingerichtet. Vorbei ist es mit "Machet euch die Erde untertan!" Jedenfalls für den Menschen. Denn die Natur wird den Menschen, der sich für die Krone der Schöpfung hält, überleben bzw. vernichten. Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der Mensch die Natur.

Witzig und gruselig ist dabei, dass diese Entwicklungen dem Mann und dem größeren Hund weder auf- noch missfallen. Hauptsache, sie kriegen ihre Portion Sex- oder Streicheleinheiten. Das Reden übernimmt eh der Mann. Nur dem kleinen Hund reicht das nicht. Er vermisst sein Frauchen. Er ahnt, hier stimmt was nicht, wenn das Bett von Pilzen überwuchert ist und ein Pilzstengel verdächtig nach dem Bein seines Frauchens aussieht. Eine feministische und apokalyptische Gruselgeschichte, die Schleef aber mit Anteilen einer komödiantischen Pantomime daherkommen lässt und die so ihren Schauer erst untergründig entfaltet.

Birgit Schmalmack vom 8.1.24