Opa war ein Nazi

Studie von G. Anschütz, Dolomiten 1943, Lichthof İMaik Gräf

Mitten zwischen Porträtfotos von uniformierten Männern auf der Anrichte mit Spitzendeckchen steht Dennis Dieter Kopp als lebende Nippesfigur. Es ist die Anrichte seiner Oma, bei der viel Zeit als Kind verbracht hat. Die Bilder interessierten ihn damals als Kind eher weniger. Doch jetzt fragt er sich, ob sie nicht doch etwas mit ihm zu tun haben. Ob diese Bilder, die eine bestimmte Art von Mannsein propagieren, ihn vielleicht doch beeinflusst haben könnten. Auf den Bildern ist sein Opa zu sehen, doch von seiner Oma erfährt er nichts. Lange schon von ihrem Mann getrennt, stehen die Bilder immer noch dort auf ihrer Anrichte. Denn sie verkörpern mehr als den Großvater. Er ist dort in Uniform zu sehen, lässig posierend, eine Hand an der Hüfte, eine Hand an der Brust, kleines überlegenes Lächeln in den Mundwinkeln. Diese Bilder sind während des Zweiten Weltkrieges an der Front entstanden. Und es gibt nicht welche auf Oma Ruths Anrichte, sondern auf vielen weiteren in deutschen Wohnzimmern. Alle sehen ähnlich aus, alle verbreiten eine fast identische Grundstimmung. Hier wurde der Mythos des wehrhaften deutschen Mannes nach Hause zu den Frauen und Eltern geschickt, von einem, der gewinnt.

Kopp beginnt eine Reise durch seine Erinnerung. Ich war 12 Jahre als, ich war 10 Jahre alt, ich war 27 Jahre alt, so springt er durch sein Gedächtnis an prägende Erfahrungen. Er erinnert sich daran, dass alle erwachsenen Männer in der Verwandtschaft irgendetwas mit der Armee oder der Bundeswehr zu tun hatten. Er erinnert sich, wie cool er die amerikanischen Helden aus den Army-Filmen fand. Er erinnert sich, dass er als Kind stolz seine Tarnfleck-Kombi getragen hat und wie er sich lange ebenfalls bei der Bundeswehr sah. Doch dann: "Ich war 18 Jahre alt und verweigerte." Die Coolness der Bundeswehr hatte sich für ihn noch rechtzeitig vor der Verpflichtung entzaubert. Doch mit dem Körperbild haderte er noch lange. Zu rundlich, zu haarig fand er sich.

Jetzt auf der Bühne des Lichthoftheaters ist er augenscheinlich viele Entwicklungsschritte weiter. Seine lila Matrosenuniform ist bauchfrei und hat kurze Hosen. Dazu trägt er schwarze Lackstiefel. Welche Schuld der Großvater auf sich geladen hat, wie der Nazi-Hintergrund ihn heute noch prägen könnte, das ist weniger das Thema in dieser Performance. Hier geht es eher darum, wie die Bilder von Männlichkeit von einer queeren Körperlichkeit überschrieben werden können. Ihre Abarbeitung an den Bildern dieser uniformierten Männlichkeit, die nur ein Ideal für einen Mann kannte, führt zu einer Vielzahl von möglichen Körperbildern, die Männern und Frauen heutzutage zur Verfügung stehen. Das zeigt das Performance-Kollektiv um Marie Simons mit ihrem lebendig gewordenen Bühnen-Comic. Sie erschaffen eine ästhetisch sehr ansprechende, innovative Form, um Bilder nicht eins zu eins zu benutzen, sondern im wahrsten Sinne mit eigenen Vorstellungen zu übermalen. Kopp macht das charmant, nonchalant und selbstironisch. Die Kontrastierung mit dem Auftreten einer muskulösen Frau, die hier die Körperbilder eines starken Mannes nachspielt, wären dabei verzichtbar gewesen. Auch so ist die Botschaft klar geworden: Die Uniformiertheit der Geschlechterbilder kann vorbei sein, aber nur, wenn die Auseinandersetzung mit der eigenen Prägung vollzogen ist.

Birgit Schmalmack vom 8.11.23