Anybody home, Junges Schauspielhaus

Anybody home, Junges Schauspielhaus
Foto: Sinje Hasheider
Totale Überforderung
Das Haus, das Zuhause ist abgebrannt. Als verkohltes Mahnmal steht es auf der Bühne. Wie kam es dazu? Die Zeit wird von der einen Tochter, Alma, um sieben Jahre zurückgedreht.
In dieser Familie sind alle überfordert. Nach außen wirkt das Haus, als es sich auf der Drehbühne umdreht, modern, offen und schick und die Eltern gutbürgerlich. Die Mutter ist Journalistin, als Kriegsfotografin gibt sie dem Leid der Welt ein Gesicht. Der Vater ist Pastor, der stets von Hoffnung, Versöhnung und Fürsorge predigt. Beides also erwiesene Gutmenschen, die Verantwortung übernehmen wollen in dieser Welt. Sie haben drei Kinder. Den elfjährigen Mateo und die 17-Jährigen Zwillinge Alma und Serafin. Der Junge ist seit kurzem seltsam verstört, keiner scheint zu wissen warum. Die eine Zwillingsschwester hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen, lebt in ihrer eigenen Welt, die sie sich mit einem KI-Wesen namens Gaja teilt und lehnt jeden Kontakt mit der übrigen Familie ab. Nun ist die meist in der Welt herumreisende Mutter zurückgekommen, um den anstehenden 18. Geburtstag ihrer Töchter mitzufeiern. Sie kommt in eine erodierte Familie zurück. Der Vater hat seinen Job in der Gemeinde vor Ort gekündigt und predigt nun seinen weltweiten Followern im Netz. Die eine Tochter verbarrikadiert sich in ihrem Zimmer und die andere versucht verzweifelt, die Reste der Familie zusammen zu halten. Alle sind auf ihre Art überfordert. Und ziehen ihre eigenen Schlüsse daraus. Die Mutter macht dem Vater Vorwürfe: Du warst doch hier und hättest dich kümmern müssen. Der Vater der Mutter: Du bist immer einfach weggefahren. Die Eltern Alma: Warum hast du deiner Schwester nicht geholfen? Die entgegnet schlicht: Ich war dreizehn!
Hier ist keiner wirklich zu Hause. Und das im doppelten Wortsinn. Alle verschwinden in virtuellen oder realen Welten und haben ihren Rückzugsort der Sicherheit und der Vertrautheit verloren. Im anschließenden Publikumsgespräch wurde deutlich, dass dieses Gefühl viele der Anwesenden gut kennen. Ein Gefühl der Unbehaustheit in der Gegenwart und eine Flucht in die virtuelle Welt sind die Folgen, die gleichzeitig die Gefühle der Unsicherheit und der drohenden Gefahr noch vergrößern. Das alles haben Klaus Schumacher und Stanislava Jević in ihrer Stückentwicklung „Anybody home“ am Jungen Schauspielhaus zu einer packenden Story verdichtet. Auch wenn sie das Haus auf der Bühne abbrennen lassen, geben sie dieser Familie Hoffnung und damit auch den Zuschauenden. Die Ensembleleistung ist beeindruckend. Das gesamte Team überzeugt in der einfühlsamen Darstellung ihrer Charaktere, ob als überforderte Eltern (Hermann Book, Christine Ochsenhofer), als überengagierte Alma (Victoria Kraft), als besorgter Freund (Parsa Yaghoubi Pour), als depressive Serafin (Anastasia Lara Heller) oder als verzweifelter Elfjähriger (Silvio Kretschmer).
Sieben Jahre später treffen sich die Familienmitglieder wieder. Sie haben es geschafft, erneut in Kontakt zueinander zu treten. Sie haben das Gespräch gesucht und wieder an Zeiten, in denen sie noch eine Familie waren, anknüpfen können. Das Ende ist fast zu schön um wahr zu sein. Beide Zwillingschwestern werden gleichzeitig Mutter (Zuversicht auf die Zukunft pur), der Sohn engagiert sich auf einem genossenschaftlichen Ökohof, er arbeitet mit seiner Schwester seine virtuellen Traumata künstlerisch auf und die Eltern nähern sich wieder an. Zum Schluss singt der Vater ein Liebeslied für die Mutter. Mehr Happy End geht kaum. Aber vielleicht braucht es heutzutage genauso ein Theaterstück, das Hoffnung und Zuversicht vermitteln kann. Auch, bzw. gerade angesichts der totalen Überforderung mit all den Konflikten und Herausforderungen dieser Zeit braucht es einen Rückzugsort, in dem die wahrhafte Begegnung Raum hat. Diesen zu suchen und auszufüllen, ist das einzige, was hier noch Halt geben kann. Diesen zu imaginieren kann dieser Theaterabend helfen.
Birgit Schmalmack vom 16.10.25
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