hamburgtheater

..... Kritiken für Hamburg seit 2000

Zarah 47 - Das totale Lied

Zarah 47 - Das totale Lied, Theater Das Zimmer

Foto: Patrick Bieber

Kann denn Liebe Sünde sein?



„Diese Ruhe.“ Zarah hat theatralisch ihre Arme ausgebreitet und genießt scheinbar die Ruhe der ländlichen Umgebung. Doch dann ändert sich ihr Tonfall und es wird klar, dass ihr nichts mehr auf die Nerven geht als diese Stille. Denn Zarah Leander, die bis vor kurzem noch so geehrte Sängerin hat Geburtstag und niemand gratuliert ihr. Das hat seinen Grund. Von 1936 bis 1942 feierte die Schwedin ihre Erfolge im Nazi-Deutschland. Nach Vertragsstreitigkeiten kündigt sie bei der DEFA und kehrt auf ihr schwedisches Gut Lönö zurück.
„Nazi-Schwein“, „Verrat an unserem Land“ hört sie aus dem Off. Statt Geburtstagskarten erhält sie nur schriftliche Beleidigungen und Anschuldigungen von ihren Landsleuten. „Ich habe es gut,“ behauptet sie dennoch. Sie wisse wenigstens, woran sie sei. Sie würde von allen Schweden gehasst. Dabei sei sie doch immer nur ihrem Beruf nachgegangen. Sie sei gänzlich unpolitisch, habe sich immer nur fürs Singen interessiert. „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ und sie trug es einfach nur vor ihrem Publikum vor. Hitler soll für sie geschwärmt haben? Nur ein Gerücht. Sie habe ihn nur einmal getroffen. Dabei habe sie ihm gesagt, er solle dringend an seiner Frisur etwas ändern.
„Kann denn Liebe Sünde sein?“ fragt sie nonchalant mit einem Lied. Dass Männer sich in sie verlieben, ist für sie eine natürliche Konstante in ihrem Leben, die sie genießt und sie gerne für ihre Zwecke ausnutzt. Umso mehr schmerzt sie jetzt deren Verlust. Doch sie sieht sich als eine Kämpferin. Aufgeben, keine Option.
Valerija Laubach als Zarah Leander spielt alle diese Gefühlsnuancen mit Bravour. Sie lässt ihre Zarah, die ganz leger in weiter Hose und lockerem Top zu Hausschuhen auf die Bühne kommt, sekundenschnell zwischen Empörung, Verzweiflung, Wut, Rechthaberei und Enttäuschung hin- und herschwanken. „Davon geht die Welt nicht unter“, macht sie sich schnell selbst Mut. Mal wirkt sie völlig arrogant, im nächsten Moment könnte man fast Mitleid mit ihr haben. Laubach zeichnet ihre Zarah genau an der Trennlinie zwischen überheblicher selbstgewisser Diva und depressivem, hinterfragendem Selbstmitleid. Sie macht es den Zuschauenden nicht leicht, diese Frau in eine Schublade zu stecken. Regisseur Sven Niemeyer belässt das Musical von Peter Lund im Theater Das Zimmer geschickt in der Schwebe. Steht hier eine Künstlerin oder eine Kollaborateurin auf der Bühne? Eine Intrigantin oder eine Feministin? Nutzte sie die Männer aus oder ließ sie sich ausnutzen? Unterstützte sie die Nazis mit ihrer Musik oder sang sie nur einfach ihre Lieder?
Als sie schon kopfüber in den Pool, der auf der Bühne als Bällebad daherkommt, gekippt ist, klingelt plötzlich doch das Telefon. Ralph Benatzky ist dran. Es gibt also noch Hoffnung. Auch wenn es nur ein schlecht bezahlter Auftritt in Genf vor nicht einmal 200 Zuschauenden sein wird. „Wunder gibt es immer wieder.“ Der Abend endet mit dem Satz der Zarah: „Liebt mich! Darum geht es.“ Eine Frau, die den Beifall so sehr braucht, dass sie dabei alle misslichen Umstände in Kauf nimmt. Seien es die Nazis oder auch bescheidene Auftrittsorte. Will man ihr das vorwerfen? Mit diesen Fragen wird das Publikum im prall gefüllten Horner Theater direkt konfrontiert. Es begegnet der fast sympathisch wirkenden Zarah scheinbar privat. Sie offenbart sich vermeintlich ganz persönlich und dennoch weiß man nie, was ist hier Inszenierung und was ist ehrlich. Aber vielleicht ist das bei dieser Frau auch dasselbe. Ihre Persönlichkeit ist auch für sie selbst eine ständige Inszenierung.
Laubach interpretiert die Lieder ganz bewusst auf ihre eigene Weise. Nur manchmal bei den nachgeahmten Dialogen mit den Männern, denen sie im Laufe des Stücks begegnet, zeigt sie, dass sie das R wie die Leander rollen kann. So erlebt man die Lieder so zart, verletzlich und facettenreich, wie die Leander sie sie sich selten in der Öffentlichkeit erlaubte. Wie Laubach diesen Balanceakt sowohl musikalisch wie darstellerisch hinbekommt, ist eine grandiose Leistung und macht diesen Abend absolut sehenswert.

Birgit Schmalmack vom 15.10.25

Zur Kritik von

hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000