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Rashamon
Hotel der besonderen Art
An der Rezeption wird der neue Gast schon erwartet. Ein Zimmerschlüssel wird ihm in die Hand gedrückt und ein junger Portier begleitet ihn zu seinem Zimmer durch einen verspiegelten Flur. Ein schmales Zimmer mit Bett, Waschbecken, zwei Türen und einem Wandschrank wird aufgeschlossen. Dort darf er sich eine Weile umschauen, bevor ein kurzes Videoband auf dem kleinen Fernseher beginnt. Drei Zeugenaussagen skizzieren einen Kriminalfall in Japan. Ein Mann ist unter mysteriösen Umständen in einem Wald zu Tode gekommen. Seine Frau ist verschwunden und ein bereits aktenkundiger Gewalttäter wird der Tat verdächtigt. Plötzlich wird die Seitentür aufgestoßen: Ein Mann mit strähnigem Haar und wirren Gesichtsdruck steht in der Tür und verkündet: Ich habe den Mann getötet. Er zieht sich in den Nebenraum zurück und redet mit brüchiger Stimme weiter. Soll der Gast sich zu diesem verdächtigen Subjekt in dessen Zimmer locken lassen? Die Neugier siegt. Der Mörder erzählt von seiner Tat, die er aus schnell entflammter Liebe zu der schönen Ehefrau verübte.
Noch zwei weitere Versionen der Tat werden dem Gast in den beiden nächsten Hotelzimmern präsentiert. Auch die Ehefrau und der Gatte stellen ihre Sicht dar. Alle drei Geschichten schließen sich gegenseitig aus, sind aber in sich stimmig. Zum Schluss gelangt der Gast wieder in sein ursprüngliches Zimmer. Doch jetzt sieht er ein anderes Videoband: Er sieht sich selbst, wie er vor ca. sechzig Minuten in dieses Zimmer kam und neugierig seinen Beobachterstatus einnahm.
Diese Verwirrung der Wirklichkeitswahrnehmung hat Regisseur Bernhard Mikeska mit seiner freien Theatergruppe aus Zürich im Theaterraum des Thalia in der Gaußstraße für vier Tage aufgebaut. Vier realitätsgetreu nachgebaute Hotelzimmer haben hier Platz gefunden und werden für die Sekunden genaue Verwirrung der Sinne genutzt. Die Gerichtsverhandlung aus dem Film von Kurosawa wird in ein Hotel verlegt. Der Zuschauer wird zum Richter bestellt. In der direkten Eins zu Eins Konfrontation von Schauspieler zu Zuschauer ist kein Ausweichen in den engen abgeschlossenen Räumen möglich. Der Zuschauer darf äußerlich Beobachter bleiben. Dennoch wird seine innere Stellungnahme von den Schauspielern eingefordert. In einer ganz persönlichen Erzählung plädieren sie eindrücklich für ihre Sichtweise.
Eine aufwändige inszenierte, aber äußerst interessante Erfahrung, die den Zuschauern zuteil wurde, die in diesem besonderen Hotel Gast sein durften.
Birgit Schmalmack vom 12.5.09