Zuhause, Einwirkzeit

Zuhause von Einwirkzeit

Der Aufstand des Zielgruppensofas Leander

Er hatte seine Rebellion so gut geplant. Nein, er wollte nicht das stylisch glatte Designersofa, das so gut zu seinem durchgeplanten Gutsituierten-Apartment passen würde, kaufen. Er würde diesmal das rote Rosensofa aus der Zielgruppe „Horst“ erwerben. Er wollte endlich wieder etwas Rock 'n Roll in sein Leben bringen. Doch dann sieht er diese Hochglanzbroschüre, in der genau dieses geschmacklose Kitsch-Sofa als der neueste Trend der Individualisten aus der Zielgruppe „Leander“ angepriesen wird. So war auch sein rebellischer Impuls schon längst von den Trendforschern vorhergesehen worden. Er ergibt sich und zahlt mit seiner Visa-Gold.
Sie hatte sich den Abend in ihrer harmonisch ausgestatteten Wohnzimmerwohlfühloase nach einem anstrengenden Arbeitstag so schön vorgestellt. Alles ist perfekt, nur ihre Emotionen wollen sich einfach nicht werbungsgemäß einstellen. Auch eine genaue Analyse ihrer Gefühlslandschaft, die sie ebenfalls streng nach Ratgeberleitfaden durchspielt, bringen nicht das versprochene Wohnwohlgefühl. Immer quetscht sie sich auf der grünen Holzleiter in eine neue Position, die angeblich die Glücksschwemme auslösen soll, doch die Zuhausemotion stellt sich einfach nicht ein.
Der Mann hat den weiteren Kredit nicht bewilligt bekommen, stattdessen droht ihm die Bank mit der Zwangsvollstreckung des Hauses. Das Zuhause soll seiner fünfköpfigen Familie geraubt werden. Die Schande ein Versager, der seine Familie nicht versorgen kann, zu sein raubt ihm den Schlaf. Immer wieder dreht er sich in dem kleinen grauen Oldtimer von einer Seite auf die andere, reißt das Dachfenster auf, streckt seinen Kopf heraus und sucht nach Lösungswegen. Verliert er sein Haus, verliert er sein Leben. Nachdem er die Ermordung seiner gesamten Familie verworfen hat, plant er seinen Selbstmord am nächsten Wochenende.
Diese und drei weitere Episoden hat sich Ingrid Lausund für ihr Stück Zuhause ersonnen, das jetzt von der Gruppe „Einwirkzeit“ inszeniert wurde. Wieder einmal hat sich diese besondere Theatergruppe einen besonderen Spielort für ihr Vorhaben ausgesucht: Die gemütliche Einrichtungslocation „Königreich“ in Ottensen. Hier sitzt man an langen Tischen, in lauschigen Sitzrunden oder in tiefen Sofas wie in einem großen Wohnzimmer bei Kerzenschein und Wein. Beginnt der Abend auch noch sehr vergnüglich, drängen sich bald die makaberen Elemente ins behagliche Zuhause. So verursacht der Bericht des Mannes, der stocksteif wie ein demnächxst explodierender Schrei nach Liebe auf dem Schrank in der Ecke hockt, Schauer der Erschütterung. Seine mühsam von den Sozialbetreuern erkämpfte, eigene Wohnung ist zu seinem einzigen Refugium in einer Welt geworden, die für ihn nur aus Zurückweisung, Hass und Gewalt besteht.
Den Zusammenprall des trauten Zuhauses mit einer Welt, in der das Unbehaustsein zum Normalfall geworden ist, der nur zeitweise kaschiert werden kann, zeigt Lausund in ihren geschickt zugespitzten Geschichten. Regisseurin Heike Skiba hat sie in der perfekten Umgebung des „Königreichs“ mit ihren zwei sehr wandlungsfähigen Schauspielern Samantha Hanses und Martin Maecker und Natalie Böttcher am Akkordeon auf den Punkt genau in Szene gesetzt. Ein unterhaltsamer und nachdenklich stimmender Abend.
Birgit Schmalmack vom 3.11.14

Zur Kritik von

godot 
Die auswärtige Presse