Die Auflösung von Gut und Böse

Empatheatre, Kampnagel Val Adamson



Ein enges Wohnheimzimmer, ein kleines Fenster, eine winzige Küchenzeile, ein Bett und ein Rollstuhl. Hier wohnt Zezemeli Maseko (Mpume Mthombeni). Sie hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Jetzt kurz vor Ende ihres Erdendaseins gibt sie sich ihren Erinnerungen hin und lässt das Publikum daran teilhaben. Ihr Leben spiegelt ein Stück südafrikanische Geschichte. Nachdem sie aus ihrem Dorf als vermeintliche Zulu-Hexe vertrieben wurde, schloss sie sich als Kämpferin der Inkatha Freedom Party (IFP) an, die sich in den 80er und 90er Jahren einen Machtkampf mit dem African National Congress (ANC) lieferte. Sie wurde zu einer gefürchteten und geachteten Auftragskillerin. So oft sie auch selbst in Todesgefahr schwebte, sie überlebte. Bis heute, da sie fast bewegungsunfähig, ihr Dasein in dem Frauenwohnheim in Durban fristet und noch immer von einem Ruhestand in ihrem ehemaligen Heimatdorf träumt, obwohl dort alles längst von Umweltkatastrophen verseucht ist.
Die beeindruckende Schauspielerin Mthombeni, die hier die Zulu-Großmutter in all ihren Facetten spielt, hat das Stück zusammen mit dem Regisseur Neil Coppen entwickelt. Es beruht auf jahrelangen Recherchen von Lebensgeschichten von Frauen, die in dieser verdichtet wurden. Es verwebt eindrucksvoll so gegensätzliche Attribute wie Mythenglaube und Manipulation, Wärme und Gewaltbereitschaft, Armut und Lebensmut, Frauenpower und Grausamkeit. In dieser Frau verschwimmen die herkömmlichen Kategorien von Gut und Böse. Doch zugleich bestärkt dieses Stück auch Klischees, die über afrikanische Kulturen im Westen verbreitet sind. Geschult in derzeitigen Diskursen scheint es einerseits einfache Einsortierungen abzuschmettern und unterstützt sie andererseits ganz offensichtlich. Das macht diese Aufführung, die im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel zu sehen, für westliche Augen und Ohren nicht einfach einzuordnen. Auch hier gibt es kein schlichtes Richtig und Falsch. Doch auf eines konnten sich alle im Zuschauerraum sofort einigen: Die Leistung der Schauspielerin während ihres eineinhalbstündigen Monologs waren herausragend. Mthombeni demonstrierte eindrucksvoll, wie viele Facetten in ein und derselben Person stecken können. Sekundenschnell wechselte ihr Gesichtsausdruck von Gutmütigkeit zu Mordlust, ihre Rede von Selbstreflexivität zu Aberglaube. Hohe Schauspielkunst, die zeigt, dass Anlegen von einfachen moralischen Maßstäben auch ein Privileg des Geldes, Zugangs und der Bildung ist.
Birgit Schmalmack vom 28.8.23