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kulturradio 

Arsen und Spitzenhäubchen

Arsen und Spitzenhäubchen by Jim Rakete

Der Wahnwitz der Geschichte

Wie sieht die personifizierte Unschuld aus? Wie zwei reizende alte Damen, die ihre Tür jedem Einsamen öffnen, der ein Obdach sucht, und jedem einen Platz an ihrem Esstisch, der Hunger und Durst hat. Wie sieht dagegen das personifizierte Böse aus? Wohl eher wie Adolf Hitler mit verzerrtem Gesichtsausdruck und Pistole in der Hosentasche. Doch wenn diese beide Parteien sich einen Wettstreit in "Arsen und Spitzenhäubchen" um die Anzahl der von ihnen um die Ecke gebrachten Menschen liefern, ist der Ausgang bis kurz vor Schluss noch nicht entschieden….
Denn genau diese zwei angesehenen Seniorinnen haben zwölf Leichen im ihrem New Yorker Keller vergraben. Ihr Anschein von Unschuldigkeit schützt sie vor jeder Verdächtigung. Als ihr Neffe Mortimer (Uwe Bohm) hinter ihr Geheimnis kommt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Dass sein aus dem Gefängnis entflohener Bruder Jonathan sich in seinem Elternhaus vor der Polizei mit einer weiteren Leiche verstecken will, lässt sich die Ereignisse überschlagen. Mortimer kommt arg ins Schwitzen, um sich und seine geliebten Tanten vor unliebsamen Folgen zu schützen.
Die Stück von Joseph Kesselring, dass 1941 am Broadway herauskam, spielt mit dem Wahnwitz der Geschichte und formt daraus eine Komödie. Regisseur Ulrich Waller kann in seiner Inszenierung am St. Pauli Theater mit den beiden Theaterstars Eva Matthes und Angela Winkler als mordendes Schwesterpärchen glänzen, die ihre Hinterlist messerscharf herausarbeiten. Christian Redl ist ihnen ein würdiger Widerpart in seiner Rolle des Bösen. Sein mehrfach von seinem Gefährten Dr. Einstein operiertes Flucht-Gesicht erinnert an Hitler. Dieses Stück hinterfragt die Fassaden der Gesellschaft, ohne je den Unterhaltungsaspekt aus dem Augen zu verlieren. Waller verzichtet keineswegs darauf, auch die derbe Komik des Stückes auszuspielen. Seine Schauspieler dürfen Typen geben, die Klischees bedienen. Doch diesen Könner ihres Fachs verzeiht man manche Übertreibung.
Birgit Schmalmack vom 5.1.15