Der Vater, St. Pauli Theater

Fast unmerkliche Löcher im Kopf

Sah der Raum nicht gerade eben noch ein wenig anders aus? Stand die Kommode nicht vorher noch auf der anderen Seite? Hatte sich nicht seine Tochter Anne von ihrem Mann (Stephan Schad, Patrick Heyn) getrennt, warum sitzt er dann vor ihm in seiner Wohnung? Hatte seine Tochter nicht immer lange blonde Haare? Der achtzigjährige André entdeckt zunehmend Lücken in seinem Gedächtnis, die er versucht mit all seinem Charme zu überspielen.
Der Zuschauer darf dieses Gefühl der zunehmenden Verunsicherung mit ihm teilen, denn mit kurzen Drehungen der Bühne verschieben sich die Wände und Möbel fast unmerklich von Szene zu Szene. Auch Tochter Anne, die sich rührend um ihren alten Vater kümmert, erkennt der Zuschauer mitunter nicht mehr wieder. Wird sie zunächst von der blonden Christine Gehlen gespielt, wird sie wenig später durch die dunkelhaarige Anne Weber dargestellt.
Volker Lechtenbrink ist die perfekte Verkörperung dieses alternden Grand Signeurs, der herzzerreißend um seine Würde kämpft. Autor Florian Zeller wirft den Zuschauer in seinem intelligent konstruierten Stück ohne Vorwarnung in die Perspektive des an Alzheimer erkrankten Andrés und verhindert so geschickt eine Betrachtung aus der Distanz. Ulrich Waller setzt den Text mit den passgenauen Bühnenveränderungen und der sensiblen Schauspielerführung wunderbar um. Ein weiteres Highlight der bisherigen Saison des St.-Pauli-Theaters.
Birgit Schmalmack vom 13.4.15