Carbon Negative, Lichthof
Carbon Negative, Flinn Works
(Foto: Lea Dietrich)
Vielleicht lieber ein Bier trinken?
Auf der Bühne ein kleines Klimalabor. Unter der transparenten Halbkugel wollen der Performer Konradin Kunze und der Musiker Andi Otto von Flinn Works herausfinden, wie man unser Klima eventuell doch noch retten kann. Während Kunze allerlei Experimente an Moos- und Eiskugeln ausführt, untermalt Otto die Laborversuche an seinem Cello und der Loopstation mit äußerst innovativen und variantenreichen Klängen, die mal Zuversicht, mal Dramatik und mal Katastrophenstimmung ausdrücken können.
Um es möglichst praktisch zu machen, haben sich die Beiden eine ganz konkrete Aufgabe gestellt: Wie können sie die Klimabilanz dieses Stückes kompensieren? Dazu werden zwei Zuschauende gebeten, im Netz eine Möglichkeit zu finden, die CO2-Bilanz dieser Produktion auszugleichen. Konradin Kunze wirft derweil eine Exel Tabelle mit allen wichtigen Zahlen auf die weiße Scheibe, die rechts auf der Bühne steht. Doch ein paar fehlen noch, denn die Anreise der Zuschauenden ist natürlich mit zu berücksichtigen. Knappe 250 kg CO2 ist das Ergebnis dieses Abends.
Während die zwei Zuschauer noch am PC unter der Kuppel suchen, berichtet Kunze von einem Schweizer Unternehmer, der eine scheinbar perfekte Idee zur Kompensation hatte. Er kaufte eine riesige Landfläche in Afrika und vermarktete Anteile daran als Möglichkeit der Aufbesserung der CO2-Bilanz von Privatpersonen und Unternehmen. Doch er forstete hier nicht etwa auf, sondern sorgte nur dafür, dass diese Fläche nicht abgeholzt wird. Dafür wird eine Nachbarfläche als Vergleichsgröße genommen, die Jahr für Jahr kleiner wird. Nun wird einfach angenommen, dass dies auch mit der Nachbarfläche geschehen würde, wäre sie nicht durch die Zertifikate aus dem Ausland geschützt. Dieses scheinbar völlig absurde Gedankenkonstrukt zündete zunächst nicht, wurde aber mit dem Auftauchen von Greta Thunberg plötzlich das große Ding. Jeder wollte sich einen grünen Anstrich geben. Der Schweizer Unternehmer wurde Milliardär.
Die zwei Recherchierenden haben immer noch nichts im Netz gefunden, was sie überzeugt hat. Kein Wunder. Auch die anderen Forschungen, die in Richtung Enhanced Rock Weathering, Algenzucht, Direct Air Capture and Storage und Crypto-Coins, die auf KI-gesteuerter Überwachung des Amazonas basieren, scheinen keine gangbare Lösung aufzuweisen, wie Kunze und Otto im Laufe des Abends erklären. Das bestätigen auch die Interviewpartner, die auf der weißen Scheibe projiziert zugeschaltet werden. Die Umweltforscherin Jutta Kill bewertet das Spenden von Solarkochern in Dritte-Welt-Ländern bei gleichzeitigem Beibehaltung des verschwenderischen Lebensstils in der Ersten Welt als total verlogen und der kenianische Aktivist Mordecai Ogada nennt den Verkauf von Landflächen zur Kompensation schlicht eine neue Form des Kolonialismus.
Was also jetzt tun, um die Klimabilanz des Abends noch zu retten? Kein Problem, Kunze und Otto haben noch andere Ideen in petto. Schließlich hatte der Schweizer Unternehmer den Weg schon vorgezeichnet. Der erste Vorschlag ist makaber. Vielleicht einfach Climat Suizid verüben? Das wäre wohl die effektivste Variante der dauerhaften Einsparung von CO2. Aber es geht auch weniger radikal. Eventuell in Deutschland einen Solarkocher anschaffen und damit mindestens 30 mal im Jahr statt mit Kohle grillen? Oder vielleicht auf die nächste Urlaubsreise mit dem Flieger verzichten? Oder auf den Fleischkonsum? Vertragsformulare hat das Team schon vorbereitet mitgebracht. Der Andrang auf der Bühne war nach der Aufführung groß. Das lag sicher nicht nur am Bierkasten, der auf der Bühne bereit gestellt wurde. Der war ein Vorschlag des Kenianers Ogada. Als Kunze ihn nach seinem Kompensationsvorschlag fragte, sagte der nur: Trinkt einfach zusammen ein Bier!
Birgit Schmalmack vom 19.10.25
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