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Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler,

Wenn die Rolle singt, Thalia

Johanna Witt

Die schönsten Fische sind die, die man nicht fängt


„ASV Petri Heil-Butt Forever.“ So lautet die Hymne, die der Kawa Marcel (Kassenwart) und der Präsi Jürgen (Präsident) mit Begeisterung schmettern, wenn es um ihr Lieblingsthema geht: das Angeln. Stolz bauen sich die Beiden in Tarnfleckkappe und Anglerweste vor dem Publikum auf. Die Fachliteratur stapelt sich auf dem kleinen Tischchen zwischen ihnen. Schließlich sind sie Experten, die alle an ihrem Fachwissen teilhaben lassen wollen. Doch dazu werden sie im Laufe des fast dreistündigen Abends wenig kommen. Denn die beiden behaupten zwar, gewisse Bühnenerfahrung zu besitzen, aber die Kunst eines strukturierten Vortrags gehört scheinbar nicht dazu. Doch das trifft es nicht ganz: Schließlich hatten sie sich eine klare Struktur überlegt, doch es genügt ein Stichwort und schon schweifen die Beiden ab. Ihre Gedankenketten sind unergründlich. Wie sagt Jürgen einmal so schön: „Wer keine Umwege geht, kommt nie am Ziel an.“ Wenn der Präsident um Worte ringt, hinter Fantasieausdrücken mit dem Hinweis „Das kennt doch jeder“, seine Unwissenheit verbergen möchte, ist das zum Brüllen komisch. Beide hören sich sehr gerne reden. Jürgen suhlt sich in seinen ausschweifenden Ergüssen, denen Marcel, der passenderweise einen ganzen Kopf kleiner ist, ergeben lauschen muss. Besonders witzig geraten die Momente, in denen der Große über den scheinbar abgründigen Humor des Kleinen nur fassungslos den Kopf schütteln kann. Während sich Marcel noch vor Lachen ausschütten will, richtet Jürgen strafende Blicke auf seinen Kumpanen. Bis der Kleine schluckt, betreten zu Boden guckt, mit einem Lächeln gute Miene machen will und doch ein paar Tränen herunterschlucken muss.
Nach der Pause allerdings liegt die Stimmung im Keller. Marcel hat eigenmächtig einen Vertrag mit ihrem Sponsor unterschrieben. Nun müssen sie mit Käsehüten auf dem Kopf Werbung für die Löcher in dessen Produkt machen. Doch die vereinbarte Minute zieht sich, weil Marcels Versprecher statt der Löcher „das Loch“ preist. Das muss natürlich ausgiebig diskutiert werden. Da hilft nur die Flucht in die Musicalsparte: Der Präsi zieht sich dazu eine Glitzerjacke unter seine Lederweste und Marcel wird im roten Paillettenkleid und Zangenhandschuhen zur Köder-Garnele, die an Seilen von der Decke hängend über die Bühne schwimmt. Auch ihr Gesangsbeitrag „Die Forelle“ treibt die Laune nach oben. Besonders wenn die Beiden sie auch noch, um der sicher allseits bekannten Internationalität der Anglerszene Rechnung zu tragen, auf Finnisch und Nordkoreanisch darbieten. Und sogar rückwarts vortragen können. Das Tonbandgerät läuft zur Beweisaufnahme mit.
Doch zum Schluss wird es tatsächlich zum Kotzen. Da treten die Beiden aus Versehen auf ihr „halbes Vereinsmitglied“, den Schlammmolch Werner, dessen Überreste so stinken, dass Holger Sturzbäche in sein Aquarium reihern muss. Das ist dann wirklich eine Art von Humor, die die feinen leisen Zwischentöne, die ansonsten stets mitklingen, übertünchen könnte. Denn neben all dem überdrehten Klamauk, zu dem die Anglerfreunde sich hinreißen lassen, lassen sie auch tief in ihre Seelen blicken. Dann spinnen sie nicht nur Netze aus Anglerlatein, sondern sprechen auch über die Verluste im Leben. Wieder so ein Jürgenspruch: „Die Lust am Leben spiegelt sich in seinen Verlusten.“ Und ist sichtbar stolz auf sein tolles Wortspiel. Doch er wäre nicht der Präsident, wenn er nicht zum Trost noch einen auf Lager hätte: „Die schönsten Fische sind die, die man nicht fängt.“

Dann marschieren die Beiden Arm in Arm von der Bühne. Nicht ohne, sich vorher für alle entglittenen Witze entschuldigt zu haben. Wir sind einfach zwei Dorfjungs, die mal einen geilen Auftritt hinlegen wollten und manchmal einfach übers Ziel hinausschießen. Schon verziehen! „Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler“, von der Regisseurin Johanna Louise Witt in Zusammenarbeit mit den beiden Schauspielern Thomas Niehaus und Paul Schröder entwickelt, ist zu einer Kultshow am Thalia Theater geworden, die seit 2016 sicher schon hundert (jedenfalls in der Rechnung der beiden Angler) Aufführungen erlebt hat. Es ist ein zum Brüllen komischer und gleichzeitig berührender Abend. Er stellt zwei bodenständige deutsche Vereinsmitglieder ins Scheinwerferlicht und zeigt sie als Menschen, die während ihres stundenlangen Herumblödelns zu einer Tiefe hinter der schlichten Fassade in der Lage sind, die das Bildungsbürgertum im Publikum ihnen wohlmöglich gar nicht zugetraut hätte.

Birgit Schmalmack vom 27.10.25

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