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Bilder Schwarzer Männlichkeit

Complex of tensions im Ballhaus Naunynstraße ©Wagner Carvalho


„Straße, Palme, Körper, Spülwasser, nackt, Schönheit“. Nur einzelne Worte eines Gedichtes sprechen die beider Performer ins Publikum. Wie eine zauberhafte Begrüßungsformal hauchen sie sie den einzelnen Zuschauern entgegen, die am Rand der Bühne aufgereiht sitzen. Was sie bedeuten, wird erst später im Laufe des Abends "Complex of tensions" klar. Sie sind bisher genauso ein Mysterium wie das Phänomen der Schwarzen Männlichkeit, das Regisseur Jasco Viefhues im Ballhaus Naunynstraße untersucht.
Dazu tauchen der Schauspieler Aloysius Itoka und der Tänzer Ronni Maciel zum Soundtrack von Sky Deep und dem Live-Cello-Spiel von Eurico Ferreira aus den milchig transparenten Vorhängen auf und steuern Aspekte ihrer Erfahrungen, ihrer Sichtweisen und ihrer Wünsche per. Diese hat Viefhues aus zahlreichen Interviews mit queeren schwarzen Männern aus Berlin gewonnen. Da erzählt Itoka von seiner Befreiung, als er während seiner Zeit in New York zwei küssende Männer vor Bloomingdales in Manhattan beobachtete.
Maciel berichtet davon, wie er nachts auf die Straße herumstreunte, um Männer zu treffen.
Itoka wird in seiner Erinnerung zu dem Schwarzen ganz in Weiß. So fand er Zutritt ins Studio 54. Doch der legendäre New Yorker Nachtclub war ein rassistischer Ort. Nie würde er dort einen Job als Kellner bekommen. Der Dresscode war weiße Haut zum Servierschürzchen.
In seinen Tanzchoreographien zeigt Maciel viel schwarze Haut. In der ersten trägt er neben seinem knappen Tanga nur lange Kettenschnüre als eine Art Gesichtsschleier. Er versteckt sich hinter ihnen, ist aber auch zugleich an sie gekettet. Sie verwirren sich, nehmen ihm die Sicht. sie sind so lang, dass er fast bei jedem Schritt auf sie tritt. Dennoch verhüllen sie nichts. Er zittert, er strauchelt. Seine Beine wollen ihm nicht gehorchen. Einmal scheint er sich zu befreien, er wickelt sich die Ketten wie einen Schmuck um den Hals und kann sich endlich ungehindert bewegen. Doch dann verheddern sich die Ketten wieder. Zum Schluss steckt er sie kurzerhand in seine dichten, lockigen Haare wie einen Kopfschmuck und geht erhobenen Hauptes von der Bühne.
Während nun das Cello knarzt wie eine ungeölte Tür, humpelt Maciel wieder zum Bühneneingang herein. Um seinen Hals sind Federn drapiert, um Arme und Beine Spitzenvolants. Einen Tutu trägt um die Taille. Zaghaft wie ein kleines Vögelchen, das versucht aus dem Ei zu schlüpfen, versucht er sich zu bewegen. Doch nur wenig Freiraum kann er sich erarbeiten. Erst mühsam streift er sich die einengenden Verzierungen ab. Bis er als schwarzer Körper so dasteht, wie er ist, ohne allen Zierrat von außen. Doch welche Haltung soll er nun einnehmen? Darf er große Sprünge machen?
„ Du kannst dich entscheiden, die Wahrheit oder die Lüge zu leben“, heißt es an einer Stelle. „Aber du kannst dich nicht entscheiden, queer zu sein“.
Regisseur Jasco Viefhues erprobt mit den beiden charismatischen Performern die Fremd- und Selbstbilder schwarzer Männlichkeit. Wie weiblich darf ein schwarzer Mann sein? Wie viel Weiblichkeit darf sich ein Schwarzer Mann erlauben? Wie viel wird ihm erlaubt? Wie wirken sich die postkolonialen Hierarchiestrukturen aus? Das Team reflektiert in seiner vielschichtigen Arbeit die Konstrukte von Gender und Race.
Die Worte vom Beginn tauchen zum Schluss wieder auf, als Itoka das komplette Gedicht rezitiert: Eine Person weiß nicht um ihre Schönheit, da das „Spülwasser“, über das sie gebeugt steht, ihr kein Spiegelbild wiedergeben könne.
Bis der positive Ausblick, von dem Viefhues in der Ankündigung zu seiner Inszenierung auf der Website des Ballhauses spricht, Realität werden kann, braucht es anscheinend noch ziemlich viele solcher Abende wie diesen.
Birgit Schmalmack vom 12.10.20