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Mrs. Warren's Profession, National Theatre Live, S

Mrs. Warrens Profession, Savoy

John Persson, National Theatre

Aktuell und doch etwas angestaubt

Vivien ist eine emanzipierte Frau, in einer Zeit, in der das für Frauen eigentlich noch nicht vorgesehen war. Sie hat eine exzellente Ausbildung als Mathematikerin genossen und plant nun ihren eigenen Lebensunterhalt mit diesem Wissen zu verdienen. Doch sie bekommt Besuch. Von ihrer Mutter, von der sie fast nichts weiß. Denn sie hat ihre Kindheit und Jugend fern von ihr in Internaten verbracht.

Sie betreten eine Raseninsel, die unter der weißen Lichtscheibe auf der Bühne platziert ist. Mit Blumenbouquets und Gartenstühlen ausgestattet, finden hier auch alle weiteren Begegnungen in der ersten Hälfte des Stückes von George Bernhard Shaw statt, das er 1893 geschrieben hat. "Wer bist du? Was bist du?", fragt die Tochter ihre Mutter Kitty, als sie auf sie trifft. So unterschiedlich wie sie sind, bezweifelt sie sogar, dass sie wirklich verwandt sind. Kitty ist eine aufgedonnerte Frau, die sichtbar ihren Reichtum vor sich herträgt. Die Tochter Vivien dagegen kommt barfuß im schlichten weißen Kleid daher. Schnell landen sie in einem Konflikt. Vivien ist eine selbstbewusste Frau, die weiß, was sie will. Sie will sich weder von Männern, die bei ihr Schlange stehen, noch von ihrer Mutter einen Lebensstil vorschreiben lassen. Nie und nimmer.

So sieht sich Kitty gezwungen, ihr die „Wahrheit“ über die Herkunft des Geldes, das ihre Ausbildung erst möglich machte, zu erzählen. Sie stamme aus einem armen Arbeiterhaushalt, arbeitete als Prostituierte und gründete zusammen mit ihrer Schwester ein Bordell. “Das Haus in Brüssel war ein vielbesserer Ort für eine Frau als die Fabrik, in der meine Halbschwester sich vergiftete.“ Dass daraus aber, zusammen mit einem männlichen Geschäftspartner eine Kette in verschiedenen europäischen Städten wurde, verschweigt sie wohlweißlich. Ebenfalls dass sie diese bis heute weiter betreiben. Vivian glaubt nun zu wissen, dass ihre Mutter keineswegs die vordergründige snobistische Diva ist, als die sie sich inszeniert, sondern im Gegenteil eine Self-Made-Frau, die ihre Bewunderung verdiene. Doch als sie die ganze Wahrheit erfährt, bekommt dieses neue Bild erste Risse. Außerdem: Sich auf das Leben, das sie ihre Mutter für sie vorgesehen hat, sich mit einem der für sie vorausgewählten Männer zu vermählen und ansonsten für ihre Mutter da zu sein, kommt für sie nicht in Frage. Sie beharrt auf ihrer Eigenständigkeit und tritt ihre schlecht bezahlte Stelle in der Stadt an.

Mittlerweile hat sich das Bühnenbild verändert. Statt auf einer Blumenwiese befinden wir uns nun in einem kahlen grauen Büro mit zwei Arbeitstischen in der Mitte. Die Frauen in Unterwäsche, die zwischen jeder Szene wie Reminiszenzen aus einem viktorianischen Bordell auftauchen, haben sie umgeräumt. An einem sitzt Vivien und rechnet. Hier trifft sie wieder auf ihre Mutter. Eine erneute Diskussion um Moral, Werte und Gerechtigkeit beginnt. Sie endet unversöhnlich. Während zu Beginn Vivien ihrer Mutter den Handschlag verweigerte, tut dies nun Kitty. Ihre Hoffnung, ihren Lebensabend mit einer dankbaren Tochter zu verbringen, hat sich nicht erfüllt.

Zwei starke Frauen treffen hier aufeinander. Sie werden furios von den beiden Schauspielerinnen Imelda Staunton und Bessie Carter gespielt. Die Männerfiguren um sie herum werden dabei fast zu belanglosen Randfiguren. Sowohl die Mutter wie die Tochter weisen sie immer wieder in ihre Schranken.

Obwohl das Stück für seine Zeit zu modern gewesen ist, kommt es doch heute etwas angestaubt daher. Da hilft auch die um etwas Abstraktion bemühte Bühnengestaltung wenig. Mehr Mut zum Transfer in die heutige Zeit, der ohne weiteres möglich gewesen wäre, hätte die Inszenierung noch spannender gemacht. Denn die Ausbeutung von Arbeitskräften in Billiglohnjobs, die für Frauen eine Arbeit als Prostituierte attraktiv macht, , ist auch heute noch aktuell. Doch Regisseur Dominic Cooke beließ das Stück für seine Inszenierung am National Theatre, das nun als Live-Film im Savoy zu sehen war, in seiner Zeit. Er vermied dadurch Brüche, aber machte es den Zuschauenden auch leicht, die Probleme des 19. Jahrhunderts in der Vergangenheit zu belassen.

Birgit Schmalmack vom 28.10.25

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