Dantons Tod, EDT

Dantons Tod, EDT
Sinje Hasheider
Die Revolution frisst ihre Kinder
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article68c3efb1a308247a75b236a1/premiere-dantons-tod-langweilt-zu-tode.html
https://www.ndr.de/kultur/buehne/theaterberichte/hamburg/dantons-tod-im-ernst-deutsch-theater-messerscharf-und-boese,dantonstod-100.html
Die Revolution frisst ihre Kinder
Hinter dem Vorhang ist vor dem Vorhang. Die orange-rote Bühne ist ein Spiel mit Bühnenvorhängen, die immer einen weiteren offenbaren. Hinten, kurz vor der Rückwand dagegen klafft ein kleines schwarzes Loch. Man könnte schon ahnen, wofür es steht. Doch bevor auch nur ein Vorhang sich öffnet, kriechen bunte, zerrupfte, bekleckste Gestalten unter ihm hindurch, stellen sich vor das Publikum und fragen: „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“
Wir sind mitten in einer Revolution. Sie tobt in Frankreich. Der Initiator Danton hat es geschafft, dem Unwillen des Volkes Ausdruck zu verleihen und es auf die Straße zu bringen. Der König ist tot, ein Revolutionsrat eingesetzt. Doch das Blutvergießen nimmt kein Ende. Die Guillotine auf dem Revolutionsplatz arbeitet unermüdlich weiter. Das Volk will stets neues Blut sehen. Denn seine Armut hat immer noch kein Ende und die Elite trägt immer noch ihren Reichtum vor sich her. Danton will ein Ende des Blutvergießens. Doch es gibt andere, denen das alles noch nicht weit genug gegangen ist. Robespierre und seine Jakobiner sehen die Chance auf einen disziplinierten, tugendhaften Staat. Nicht nur soll das Volk genügend zu essen und zu trinken haben, sondern auch die Moral soll endlich wieder die Richtschnur allen Handelns sein. Dafür sollen weiter die Köpfe rollen. Jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, wird beseitigt. Der Rat liefert dazu die Urteile, wie man sie bestellt.
Georg Büchners Text ist sprachgewaltig, philosophisch und erkenntnisreich, Ihn stellt Regisseurin Kathrin Mayr in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Sie erhöht die Textlast sogar noch um zwei theoretische Texte aus dieser Zeit: Einer richtet sich gegen die Sklaverei im Zuge der Kolonialisierung und einer fordert die Gleichberechtigung der Frauen. So wird ihr Theaterabend zu einem Schlagabtausch der politischen Strategien und Ideologien zwischen Danton und Robespierre. Der eine ist ein Mensch, der neben seinen gesellschaftlichen Idealen und politischen Ambitionen auch Gefühle hat, der sich gerne dem Genuss und der Liebe hingibt. Der andere, Robespierre, ist ein kalter Tugendwächter, der keine Handbreit von seinen Vorstellungen abgehen will. Er stellt seine strikten Moral-Regeln über alles Andere.
Wie weit darf man gehen, um einen guten Staat zu bauen? Diese Frage stellt Büchner in seinem Text und Mayr macht ihn zu einem Bühnenstück, das immer neue Vorhänge des Denkens und der Perspektiven aufzieht und wieder schließt. Dazu kommen die Protagonisten wie reichlich lädierte Rokoko-Wesen daher. Alle sind mit zusammengestückelten bunten Versatzstücken der damaligen Mode ausgestattet. Zusätzlich mit allerlei Farbklecksen versehen, selbst ihre Gesichter und Federperücken sind bunt bekleckst. Sie sind noch geprägt von ihrer Zeit, doch nichts passt mehr zusammen. Hier fehlt ein Ärmel, hier hängt die Rüsche an der falschen Stelle, hier passen die Strümpfe nicht zusammen. Das Chaos und die Wirren der Revolutionszeit sprechen aus ihren Kleidern. Einzig Robespierre hat etwas Ordnung in sein Outfit gebracht.
Das Ensemble arbeitet perfekt zusammen. Anatol Käbisch als Danton überzeugt in seiner differenzierten Spielweise als Aktionist und Mensch, der auch mal einen kleinen Breakdance auf die Bühne legt. Stefan Schießleder als Robespierre ist sein stocksteifes, berechnendes Gegenüber. Nina Carolin ist in ihrer Hosenrolle (hier Hot Pants mit Rüschen) ein sehr einnehmender Camille, der Herz und Verstand zu vereinen versucht. Ines Nieri wirft sich mit Inbrunst in alle ihre Rollen. Mayr gibt den Kontrahenten viel Raum zur Gegenüberstellung ihrer Haltungen und verzichtet darauf, das diskursive Stück mit aktionsgeladener Ideen aufzupeppen. Sie konzentriert die Aufmerksamkeit auf die Inhalte.
Wer sich darauf einlassen mag, erlebt ein spannendes Stück über Macht, Ideologie und Manipulierbarkeit und darf sich überraschen lassen, wie modern Büchner immer noch ist. Zum Schluss stehen alle wieder da und sprechen ihren Text vom Beginn noch einmal. Doch jetzt nicht mehr in einer Reihe vor dem geschlossenen Samtvorhang, sondern vereinzelt und verteilt über die ganze Bühne. „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ Dann ein lauter Knall, das schwarze Loch auf der Bühne hat sich geschlossen. Die Visionen Dantons und Camilles sind der Guillotine zum Opfer gefallen.
Birgit Schmalmack vom 21-10-25
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