Der Untertan, Altonaer Theater
Der Untertan, Altonaer Theater
© Caren Detje Photographie
Wo Erfolg ist, ist Gott
„Gestatten, Diedrich Heßling“, so stellen sich alle sechs Schauspielenden zu Beginn vor. Alle im dunklen Frack zu wilhelminischen hochgezwirbelten Schnauzbart. Sie sind alle dieser intrigante Emporkömmling, der so gerne nach oben buckelt und nach unten tritt. So tauschen sie im Folgenden die Bauchbinde durch, um in die Rolle des Untertans zu schlüpfen.
Diedrich Heßling sieht es als eine Ehre an, von seinem Vater gestraft zu werden. Sein Vater darf ihn verprügeln, denn er ist ein großer mächtiger Mann. Er besitzt eine gut florierende Papierfabrik, die Diedrich einmal übernehmen wird. So studiert er bis dahin nicht nur Geschichtsdaten, Lateinvokabeln in seiner Heimatstadt Netzig und später Chemie in Berlin, sondern auch die Insignien der Macht. Im wenig heimeligen, lauten, überfüllten Berlin fühlt er sich am wohlsten im Kreise der „Neuteutonen“, seines studentischen Corps, in dem er Gefallen an der akademischen Trinkkultur findet. „Ich gehöre dazu, also habe ich Ehre“, ist eine seiner simplen aber eindeutigen Schlussfolgerungen. Hier wird ihm nationale Empfindung gelehrt, die ihm die Demokratie als Wurzel allen Übels und das harte monarchische Regiment als zukunftsweisend erscheinen lässt. „Es ist eine harte Zeit, so muss man sein“, rechtfertigt er seine zunehmende Härte.
Heßling wird in dem Roman von Heinrich Mann zu einem Prototyp des deutschen Untertanen, der mit seiner Gesinnung den späteren Nationalsozialismus erst möglich machte. Das Ensemble springt in einer Turnhalle a la Turnvater Jahn in alle Rollen des Romans von Heinrich Mann, wie die weiblichen Gespielinnen Diedrichs, den Vater, Corpskameraden, Dorfbewohnern und Berliner Unternehmer. Unter der Regie von Karin Drechsel arbeitet das Ensemble die schlichte Persönlichkeitsstruktur des Kindes, des Jugendlichen, des Studenten und des Fabrikerben heraus. Es zeigt Diedrichs Lust an der Unterordnung, die sogar erotische Züge annimmt.
Um Manns satirischen Humor zu treffen, arbeitet das Ensemble in der ersten Hälfte gerne mit karikaturistischen Mitteln. So wirkt dieser Untertan oft zu lächerlich, um ihn wirklich ernst zu nehmen. Zusätzlich doppeln die jeweils Spielenden das, was die Erzählenden gerade berichten. Auf diese Weise bereitet Drechsel auf den drastischen Bruch in der zweiten Hälfte vor. Dann ändert sich der Ton und das Stück zeigt seine aktuelle Relevanz in voller Härte. Die Fahnen knattern durch die Luft. Die Auseinandersetzungen auf der Straße nehmen zu und Heßling sieht endlich auch politisch seine Stunde gekommen.
Nun ist nur noch einer von ihnen Heßling. Er wird zum Firmendirektor und schwingt Reden gegen die Faulheit und die soziale Hängematte, für die Arbeit im Rentenalter, die Produktivitätssteigerung und die neue Stärke des deutschen Standortes. Mitbestimmung, Gewerkschaften, soziale Absicherung, für ihn keine Optionen. Er setzt sich einen Helm auf und postuliert seine Forderungen mit noch größerer Inbrunst. Doch da erkennen die übrigen Fünf, dass sie sich wehren können. Sie beenden ihr Schweigen und ihre Vereinzelung. Statt gehorsame und schweigende Untertanen sind sie nun die demonstrierende Mitte. Mit einem Tocotronic-Song richten sie sich direkt ans Publikum: „Darum muss man sie bekämpfen, aber niemals mit Gewalt“, während hinter ihnen auf der Leinwand Bilder von Putin, Trump, Erdogan und Kim Jong-un über die Leinwand laufen. Ein starker sprechender Abschluss. So lohnt es sich, unbedingt bis zum Ende des Abends zu bleiben, denn er findet erst in der zweiten Hälfte zu seiner wahren Kraft.
Birgit Schmalmack vom 1.11.25
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