Auf Krieg gebaut, Fleetstreet Residency

Auf Krieg gebaut, Fleetstreet
Franziska Jakobi, Lena Carle und Matti Mühlschlegel
Den Krieg nicht ausblenden
Ein riesengroßes Thema haben sich die drei Residentinnen vorgenommen. Da uns die aktuelle Weltlage den Krieg wieder nach Europa gebracht hat, wollten Franziska Jakobi, Lena Carle und Matti Mühlschlegel in ihrer einmonatigen Residenz in der Fleetstreet untersuchen, wie viele Schichten Krieg unter der Stadtgeschichte Hamburgs verborgen sind. Dafür reicht ihre Recherche sehr weit in die Vergangenheit zurück. Matti Mühlschlegel hat Mühe mit dem kabelgebundenen Tablet ganz bis ans Ende der an die Wand gehängten Zettelreihe zu kommen. Von der ersten Besiedelung über die Gründung der Hammaburg, die Blütezeit als Hansestadt bis hin zur Positionierung im Zweiten Weltkrieg; die vielfältigen Verstrickungen Hamburgs in die Weltpolitik werden in kurzen Schlaglichtern beleuchtet.
Dazu hat Franziska Jakobi einen gepunkteten Schirm von der Wand gepflückt und führt als Touristik-Guidin die Zuschauer:innen auf einen imaginären Stadtrundgang durch Hamburg. Während die Themen ernst und schwer sind, versucht sie einen unterhaltenden Ton anzuschlagen, damit ihr die Hamburgbesuchenden auf ihrem Weg durch die Hansestadt nicht abhandenkommen. Das gelingt Jacobi sehr überzeugend. Mühlschlegl verfolgt dabei einen anderen Weg: Er liefert nicht nur Dokumente und Informationen zu den historischen Stationen der Tour, sondern hinterfragt auch die zum Teil vereinfachenden Beschreibungen der Tourguidin, die ihren Zuhörenden nicht zu viel zumuten mag. Die Dramaturgin Lena Carle sitzt derweil am Laptop und liefert passende Toneinspielungen und entsprechendes Bildmaterial. Zwischendurch setzt sich Jacobi immer wieder ans Klavier und singt leise den Schlager „Vergangen, vergessen, vorüber“ vor sich hin.
Warum haben sich die Drei gerade dieses schwere Thema für diese Recherchearbeit ausgesucht? Jacobi erläutert: Seit ihre Freunde in der Ukraine direkt mit dem Krieg konfrontiert sind, habe dieses Thema auch für sie eine ganz existenzielle Bedeutung bekommen. Wenn man „Nie wieder Krieg“ wolle, müsse man die Schichten des Krieges in der eigenen Stadt sichten und versuchen, sie zu verstehen. Dazu liefert der Abend Denkanstöße, die jedoch die Lücken zwischen Aufnehmen, Verstehen und Fühlen eher deutlicher machen als sie zu verkleinern. Dazu reichen weder vier Wochen Recherche noch eine gute Stunde Aufführungszeit. Dieses Work in Progress bleibt eine Aufforderung an alle.
Birgit Schmalmack vom 17.10.25
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