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Ruslan und Ljudmila, Staatsoper Hamburg

Ruslan und Ljudmila, Staatsoper Hamburg

© Matthias Baus

Utopie im U-Bahn-Schacht


Eine Hochzeit als Glücksversprechen? Auch wenn die Festgesellschaft die Vision in ihren Glückwünschen beschwört, scheint das Brautpaar Zweifel zu hegen. Die Braut träumt ihrem Traum als Eiskunstläuferin hinterher und der Bräutigam tut nichts, um ihre Bedenken zu zerstreuen. Da braucht nicht erst der Zauberer Finn aufzutauchen, um vor drohendem Unglück zu warnen. Und tatsächlich: Plötzlich ist die Braut Ljudmila verschwunden und ihr Bräutigam Ruslan, ihr Verehrer Farlaf und ihr Freund Ratmir machen sich auf die Suche. Sie landen in einer Unterwelt, hier ganz plastisch in ein U-Bahn-Labyrinth verlegt. Zeitlich befinden wir uns in der Spät-Ära der Sowjetunion. Das zeigte sich schon auf dem Hochzeitsfest. Hier bewachten Polizisten mit Schlagstöcken die Festgäste an ihren langen Tafeln. Wenn sich die Betonwände drehten, kamen auf ihrer Rückseite die Verlierer dieser zweigeteilten Gesellschaft zu Tage: Obdachlose, Drogenabhängige und Prostituierte demonstrierten die Kehrseite des Glamours. Das wird nun in der Welt der U-Bahnsystems noch deutlicher. Graffitos zieren die düsteren, von den Abgasen geschwärzten Wände. Auf stählernen Bänken lungern Bettler herum, zwischen den geschäftig herumlaufenden Alltagsmenschen mit ihren Plastiktüten und Aktentaschen in den Händen. Darunter Ruslan, der orientierungslos nach Ljudmila sucht. Noch eine Etage tiefer zweifelt er an dem Sinn seines Unterfangens und seines ganzen Lebens. Lohnt es sich? Oder soll er sich auf die Gleise stürzen? Da rollt schon ein Zug auf ihn zu.

Nach der Pause findet er auf einem anderen Gleis eine ganz andere Atmosphäre vor: Hier wird sich in der Ninja Bar hemmungslos vergnügt. Eine queere Feiergesellschaft feiert sich selbst, die freie Liebe und den Spaß des Moments. „Wozu Liebe, wozu Leid, wir leben, um fröhlich zu sein.“ Ratmir streift seine Kleidung ab und mischt sich in Lederkorsage und Strapsen unters Partyvolk. Auch Ruslan entdeckt ganz neue Neigungen an sich. Vielleicht ein Ausweg aus dem konformistischen Leben außerhalb des Untergrunds?

„Ruslan und Ljudmila“ ist eine Oper von Michael Glinka, die auf einem Märchen von Puschkin beruht Hier geht es um Zauberkünste, magische Elemente und ein märchenhaftes Happy-End. Das hinterfragen die beiden ungarischen Regisseurinnen Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka. Sie arbeiten sich Schicht für Schicht durch die Symbole des Märchens. Ob es Konventionen, Geschlechterrollen oder Nationalismen sind. Sie stellen alles infrage und suchen nach Wegen, diese Elemente neu zu interpretieren. So zaubern sie eine queere Regenbogenutopie auf die Bühne, die aber dann von den Polizisten mit den Schlagstöcken verprügelt und abgeführt wird. Ljudmila und Ruslan finden zurück in den Hochzeitssaal. Doch auch hier misstraut das Regierteam dem vorgesehenen Happy-End. Alle haben eine andere Welt kennengelernt und können nicht einfach in die vorgezeichneten Musterwege einschwenken. So wird diese Identitätssuche in die Unterwelt, zu einer, die alles vorher als sicher Geglaubte in Frage stellt.

Man hätte erwarten können, dass diese „erste“ russiche Oper, die nun in der Hamburger Oper inszeniert wird, für direkte politische Äußerungen genutzt werden würde, doch die Regisseurinnen haben sich dafür entschieden, dass sie ihre Interpretation weiträumiger anlegen. Nicht nur als Parteinahme gegen die russische Aggression, sondern auch gegen die Repressalien der queeren Szene in Ungarn, gegen rechte Strömungen in Deutschland und gegen aufkeimende Unterdrückung alles Woken in den USA. So lassen sie den Raum für viele Assoziationen anstatt allzu schnelle Schlüsse vorzuzeichnen.

Musikalisch bietet die Oper ebenso viele Anknüpfungspunkte. Komponist Glinka bedient sich vieler Inspirationsquellen für seine wunderschön dahinschmelzende, gefühlvolle Musik. Mit einem Orchester im Graben, einem unsichtbaren aus dem Off, einem mit auf der Bühne agierenden Chor und einem Chor hinter der Kulisse, mit Protagonisten, die sowohl in Gemeinschaftsszenen wie in langen Solopartien ihren Gefühlen Ausdruck verleihen können, ergibt sich ein Musikstrom, dem man sich gerne hingeben mag. Herausragend aus dem ganzen Cast agieren Tenor Nicky Spence in der Doppelrolle als Erzähler und als guter Zauberer Finn und der wunderbar starke Countertenor Artem Krutko als Ratmir. Doch auch Barno Ismatullaeva als Ljudmila und Ilia Kazakov als Ruslan beeindrucken sowohl darstellerisch wie musikalisch. Der 2022 aus Russland ausgewanderte russische Dirigent Azim Karimow schafft es, Staatsorchester und Chor so zu leiten, dass alle Komponenten zu einem Ganzen werden. Ein interessanter Abend in der Staatsoper, der Erwartungen weckt, sie geschickt unterläuft und stattdessen mit neuen Gedanken überrascht.

Birgit Schmalmack vom 29.12.25

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