Salon Arsenalna, Kantine Schauspielhaus
Salon Arsenalna, Kantine Schauspielhaus
Copyright ©: Yuliia Ardalan
"Ohne Wurzeln steht kein Baum"
Verschwundene Städte stehen im Mittelpunkt der 16. Ausgabe des Salon Arsenalna in der Theaterkantine des Schauspielhauses. Vier Schauspieler:innen aus der Ukraine sitzen auf der Bühne und tragen Texte vor, die jeweils ein ganz persönliches Schlaglicht auf die Orte werfen, die für sie wahrscheinlich für immer verloren sind.
Dana Anofrenkova ist seit 2022 in Deutschland, doch schon 2014 verlor sie ihre Heimatstadt Donezk. Sie hat mit ihren beiden weiteren Vortragendendes 16. Salons eines gemeinsam: Alle haben Schauspiel an Staatlichen Kulturakademie Charkiw studiert, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten. Die Stadt im Dombass atme nicht mehr, seit sie unter Okkupation stehe, das weiß Dana. Sie hat deswegen eine Geschichte aus ihrer früheren Heimat mitgenommen, die sie auch den Zuhörer:innen in der Kantine schenkt. Die Geschichte von einer Frau, die im Gegensatz zu ihren Freunden nichts mitnimmt, als sie fortgeht. Denn sie weiß, dass das Haus, das sie zurücklässt, im Rückblick immer kleiner wird, so dass sie zum Schluss in die Tasche stecken und es so immer bei sich tragen kann.
Nikita Petrosian wuchs in Krementschuk auf, in diesem grauen Ort, den man nur mögen könne, wenn man hier aufgewachsen sei. Seine Erinnerung handelt von einem Platz, der genau gegenüber seiner Schauspielschule lag. In jeder Mittagspause seien sie alle herüber ins Einkaufszentrum gegangen, um die besten Zuckerbrötchen der Welt zu kaufen. Doch an einem Tag im Jahr 22 fiel eine russische Rakete auf das Zentrum und ließ es in Flammen aufgehen. Auch eine Klassenkameradin von Nikita war darunter. Sie ist bis heute vermisst.
Bogdan Golubov erinnert an einen symbolträchtigen Theaterort: Das Theater von Mariupol, in dem viele Zivilisten Zuflucht gesucht hatten und das von den Russen ebenfalls bombardiert wurde. Jetzt im Dezember 2025 werde es unter russischer Leitung wiedereröffnet. Das Wort für Kinder, das als Botschaft auf den Vorplatz gemalt worden war, werde jedoch immer ein Symbol für den Kampf der Ukrainer bleiben.
Zum Schluss sitzen die beiden Gründerinnen des Salons auf der Bühne. Ute Hannig spricht mit Nika Kushnir über deren ganz persönliche Erfahrungen mit Verlusten. Sie hat vor drei Wochen ihre Mutter beerdigt, die sich ein Grab in der Ukraine gewünscht hatte. Das wurde für Mika zu einer Reise zu ihrer Herkunft und zu ihren Wurzeln. Ihr fällt ein ukrainisches Sprichwort ein: "Ohne Wurzeln steht kein Baum." Auf einmal konnte sie ihre Mutter verstehen, die gesagt hatte: Auf eigenem Boden liegt es sich weich.
Der deutsch-ukrainische Abend wurde dieses Mal passend zum 4. Advent von ukrainischen Weihnachtsliedern untermalt. Iryna Lazer (Mavka) war dafür extra aus Kyjiw angereist und interpretiert diese traditionsreichen Lieder auf ihre ganz eigene Weise. Sie gab ihnen an der Loopstation eine Vielstimmigkeit, die sie weit über jeden folkloristischen Ansatz hinweghob.
Das Zusammenkommen und das Zuhören stehen im Fokus dieses Salons, der nach einem U-Bahnhof benannt worden ist. Literarische Texte, Erinnerungen, Erzählungen und Erfahrungen werden ausgetauscht und so zu einem Gesprächsanlass sowohl für die deutschen wie für die ukrainischen Besucherinnen des Salons. Ein Raum, in dem nicht nur Platz für Trauer, sondern auch für Humor und Hoffnung ist.
Birgit Schmalmack vom 22.12.25
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