Der Talisman, Thalia
Der Talisman, Theater
Foto: Krafft Angerer
Nichts als Narren unseres Schicksals
Titus versucht sich als Glückspilz zu sehen. Er hat alle Freiheit der Welt. Außer einem einzigen Onkel hat er keine Verwandten mehr, also zieht er los in die Welt um sein Glück zu suchen. Dabei steht ihm eigentlich nur eines im Wege: seine Haarfarbe. Nicht umsonst heißt er Feuerschopf mit Nachnamen. Doch seine roten Haare sortieren ihn überall auf den ersten Blick aus. „Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf', die gegen sie ang'rennt sind, mit blutige Köpf zurückgezogen haben“, so heißt es an einer Stelle. Das wird noch klarer, als er durch Zufall eine schwarze Perücke geschenkt bekommt. Ab da wendet sich sein Blatt. Plötzlich fliegen ihm die Herzen der Frauen zu und öffnen ihm alle Türen zu Stellung und Ansehen. Natürlich wäre es keine Komödie, wenn dieses Glück nicht auch ebenso schnell wieder abhandenkommt. Kaum ist die Perücke verschwunden, wenden sich alle wieder von ihm ab.
Regisseur Bastian Kraft hat diese Posse von Nestroy in einen grellen Comic verwandelt. Von Beginn an ist die Künstlichkeit des Spiels überdeutlich. Das Bühnenbild besteht aus einer drehbaren Wand, die zunächst nur die weiße Rückseite zeigt. Auf sie werden in grell bunter Ästhetik plakative Bilder geworfen. Hier ein Baum, da ein Fenster, dort ein Bilderrahmen. Und damit man als Zuschauende auch den Überblick behält: die Namen der Auftretenden mit entsprechender Dekoration. Zudem sind alle gegen ihr eigentliches Geschlecht besetzt. Titus wird von Lisa-Maria Sommerfeld gespielt, während Julian Greis zwei der Titus zugewandten Frauen spielt. Das führt dann zum Beispiel zu der Konstellation, dass Greis auf seinen hochhackigen Schuhen Sommerfeld um zwei Haupteslängen überragt und in die Knie gehen muss, um ihr in die Augen zu sehen. So rollt sich das amüsante Wechselspiel auf der Bühne in schneller Folge ab. Ab und zu durch einen Rap Song bereichert, in dem sich die Spielenden über die Volksmeinung, die Stellung der Frau oder die Wirkung des Vorurteils Gedanken machen. Dass dies irgendwann moralinsauer werden könnte, ist hier komplett ausgeschlossen. Denn alle spielen so übertrieben ihre mit Klischees belasteten Figuren, dass sie gleichsam auch immer neben sich stehen.
Das wird besonders deutlich, wenn sich zum Ende hin die weiße Bühnenwand wendet und die Rückwand mit ihren zig Regalfächern sichtbar wird. Nun kann man den Spielenden direkt beim Verkleiden zusehen, denn alle 15 Rollen werden von dem fünfköpfigen Ensemble gespielt. Nicht nur Titus wechselt also mit seiner Perücke ständig seine Rolle in der Gesellschaft, sondern auch alle anderen. Sandra Flubacher ist ein bräsiger Gärtnergehilfe, hochnäsiger Friseur und Titus’ schmierbäuchiger reicher Onkel. Oliver Mallison die exaltierte Kammerfrau und der unterwürfige Diener. Julian Greis ist die schüchterne, ebenfalls rothaarige und damit ausgestoßene Gänsehüterin Salome und die arrogante adlige Schlossherrin. Pascal Houdus ist zugleich die geblümte Gärtnerin, die pubertäre lispelnde Tochter Emma und der tatterige Notar. Kraft lässt sie alle zum Schluss so schnell zwischen den Figuren hin- und herspringen, dass keine Zeit zum Umziehen bleibt. So steht Houdus beim Wechseln zwischen seinen Rollen plötzlich ohne Unterhose da.
Kraft zieht auf diese Weise geschickt die Schraube der Komödie noch ein bisschen fester an. Das ist sicher ganz im Sinne des Autors Nestroy, der sich in seinen Stücken gerne in der Art des schenkelklopfenden Volkstheaters über die Vordergründigkeit der wienerischen Gesellschaft lustig machte und sie zu entlarven versuchte. Kraft überträgt dies sehr klug in eine Comicwelt, in der er das Stück in all seiner Komik abspulen lässt, aber mit einer eingezogenen Metaebene gleichzeitig als Spiel zeigt und hinterfragt. Das ist eine Arbeit, die nicht nur sichtbar dem Ensemble riesigen Spaß bringt, sondern auch dem Publikum.
Birgit Schmalmack vom 8.11.25
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