Stunde Null, Axensprung Theater
Verdrängung oder Neuanfang?
Stunde Null ist ein bewusst doppeldeutig gewählter Titel für das neueste Theaterstück des Axensprung Theaters. Neuanfang oder Verdrängung, das war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch in Hamburg die Frage. Die Briten hatten noch kurz vor ihrem Einmarsch viele Quartiere mit ihrem Bombenhagel noch in Schutt und Asche gelegt. Nun sollte die Hansestadt neu zusammengesetzt werden. Es fehlte an allem: an Steinen, an Menschen, an Personal, an Papier, an Nahrungsmitteln und an Aufrichtigkeit. Das stellt auch Karla (Angelina Kamp) fest. Ihr aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Vater (Oliver Hermann) schweigt, ihre Trümmer klopfende Mutter (Mignon Remé) lügt, ihr Onkel (Markus Voigt) spioniert für die SBZ und keiner gibt ihr eine Chance, sich eine eigene Meinung zu bilden. Neuanfang, wie soll das unter diesen Umständen gehen? Vielleicht mit Hilfe der Aufklärungsgruppen, die die Briten speziell für die junge Generation eingerichtet hat? Doch auch hier erschweren die persönlichen Verstrickungen eine objektive Haltung. Denn der britische Sergeant, der 1934 als Jude aus Deutschland nach England fliehen musste, ist der ehemalige Verlobte ihrer Mutter.
Das Axensprung Theater hat es wieder einmal verstanden, im Eintauchen in die Innereien einer Hamburger Familie die Geschichte lebendig werden zu lassen. Die Beziehungen dieser fünf Menschen bilden ein Konzentrat der Konfliktlinien zwischen den einzelnen Personen und den Bevölkerungsgruppen, für die sie stehen. Drei Freunde mit unterschiedlichen politischen Ansichten. Eine Frau, die zuerst mit dem einen, dann nach dessen Flucht mit dem anderen verbandelt ist. Und die Tochter, von dem man bis zum Schluss nicht weiß, wer ihr leiblichen Vater ist. Vier Personen, die in die Vergangenheit auf die ein oder andere Weise verstrickt sind, und eine junge Frau, die voll Hoffnung auf die Freiheit ihrer Zukunft blicken möchte.
Wie kann es unter diesen Umständen eine Stunde Null geben? Das hinterfragt dieses Stück mit kritischen Blick. Da in den gut eineinhalb Stunden Played History die fünf Schauspieler:innen des Ensembles in schnellem Kostümwechsel auch in alle anderen Rollen wie Beamte, Hausmeister, Herrscher, Politiker, Militärs und Journalisten springen, wird der Blick immer wieder heraus- und hereingezoomt. Sowohl die internationale Politik, die Entwicklungen in Berlin wie die in Hamburg werden schlaglichtartig beleuchtet. So ist man hinterher nicht nur klüger, sondern konnte sich dank der hervorragenden Schauspieler:innen in deren einzelne Lebenslagen jenseits jeder Vorverurteilungen hineinfühlen. Der langanhaltende Applaus des Publikums im Museum für Hamburgische Geschichte mit Standing Ovations am Schluss zeugte nicht nur von Anerkennung, sondern auch von Dankbarkeit für die umfassende Recherche, die kluge Textfassung und die schauspielerische und musikalische Wandlungsfähigkeit des perfekt eingespielten Ensembles. Historische Personen treffen hier auf fiktive Charaktere in einer verdichteten Story. In dieser Sparte hat das Axensprung Theater ein Alleinstellungsmerkmal, das mittlerweile weit über Hamburg hinaus bekannt geworden ist. Schade dass es nun, durch den Umbau des Museums bedingt, „ihren“ Theaterort in Hamburg erst einmal verlieren. Vielleicht auch die Möglichkeit eine neue feste Adresse zu finden?
Birgit Schmalmack vom 13.5.25
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