ODYSSEE | DIE ANKUNFT, Lichthof

Odyssee, Ankunft, Lichthof
Foto: G2 Baraniak
Kein Ankommen
Minutenlang scheinen die sieben Frauen völlig bewegungslos still zu stehen. Alle verharren sie in einer Position, die sie zu einem Standbild verschmelzen lässt, ohne dass sie sich berühren oder ansehen. Letzteres wird sich auch in der nächsten Stunde nur selten ändern. Denn obwohl sie sich alle in einer ähnlichen Situation befinden - alle sind ihrer Heimat entrissen, auf der Flucht und nirgendwo zu Hause – bleiben sie alleine. Obwohl sie eine Schicksalsgemeinschaft bilden, verschmelzen sie nie zu einer Einheit. Jede der Frauen verfolgt erkennbar ihr eigenes Ziel. Auf der Bühne wird das sichtbar durch das ganz persönliche Bewegungsvokabular, das jede der Tänzer:innen bis zum Schluss für ihren Weg benutzt. Auch wenn sie kurzfristig eine Verbindung mit einer der anderen Frauen aufnimmt, so trennen diese sich kurz darauf wieder.
Faszinierend ist es, dem exzellenten Ensemble dabei zuzusehen, wie sie sich auf der Breitbandbühne auf engstem Raume bewegen, jede nach ihrem eigenen Pfad und selbst bei weit ausladenden Bewegungen sich nie in die Quere kommen. Viel Platz für je spezifische Ausdrucksformen bei gleichzeitigen Wahrung der engen Verabredungen, das ist virtuos choreografiert. Hin und her werden die Frauen von rechts nach links und wieder zurückgeworfen. Sie scheinen den Wellen des Meeres ausgeliefert und verlieren dennoch ihr Ziel nicht aus dem Blick. Wir sehen starke Frauen mit starken Persönlichkeiten, die nie ankommen und dennoch nie aufgeben. Sie bleiben auf ihrem Weg. Sie kämpfen für ihr Recht auf ein neues Zuhause. Auch wenn es bis zum Schluss nicht klar ist, wo und ob sie je ankommen werden. ist eines doch sicher: Sie werden auf ihrem Weg immer stärker und erleben ganz zum Schluss sogar einen kurzen Moment des Loslassens. Kurz vor Ende verlieren sie plötzlich jede Form der Anspannung und tanzen völlig befreit zu Technomusik. So lange bis sie zu einem gemeinsamen Hüpfen finden: eine kurze Phase der Synchronität, die ebenso schnell wieder endet. Und schon öffnet sich die Saaltür und ihr Weg geht weiter. Wohin? Keine Ahnung. Kein Ankommen in Sicht.
So wurde die Odyssee wohl selten interpretiert. Hier wird sie eher zu einer Metapher der ewigen Reise. Kein Held nirgends. Stattdessen eine Gruppe von selbstbewussten, unbeirrten Frauen, die sich auf die Suche machen. Die Arbeit, die als letzter Teil der Hamburger Trilogie zur Odyssee im Lichthof gezeigt, wurde, entfernt sich am weitesten von ihrer Vorlage. Nicht nur dadurch, dass sie ganz auf Text verzichtet, sondern auch dadurch, dass sie auch keine Handlung zeigt. Sie konzentriert sich stattdessen auf starke Bilder, die den Geist des vergeblichen Wunsches nach einem Ankommen schildern. Hoffnung oder sogar ein Happy-End sucht man hier vergeblich. Ein Höhepunkt ist die Szene vor der seitlichen Wand, aus leise der Wasser herausfließt, das die Frauen durchnässt und langsam auf den Boden tröpfelt. Hier finden die Frauen zu immer neuen Standbildern zusammen, die griechischen Zeichnungen entnommen sein könnten. Hier performen sie die Bilder, die man sich von einer Flüchtenden-Gemeinschaft machen könnte, bevor sie gleich darauf wieder von einer Welle fortgespült und an neue Ufer geworfen werden.
Eine starke Choreografie, die die Zuschauenden in einen Sog zieht. Man hätte sich gewünscht, dass den Fliehenden ein wenig Hoffnung vergönnt wäre. Doch diesen Gefallen tun einem die künstlerischen Leiterinnen Anna Semenova-Ganz und Tanya Chizhikova nicht. Sie und ihr Team wissen, wovon sie sprechen. Das gesamte künstlerische Team musste aus der Ukraine fliehen. Angesichts der derzeitigen politischen Entwicklungen kann es keine Hoffnung geben. Auch auf der Bühne nicht.
Birgit Schmalmack vom 22.6.25
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