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Michael Kohlhaas, Theater Das Zimmer

Michael Kohlhaas

Theater DAs Zimmer

Eine schleichende Radikalisierung


Eine Amtsstube, braun getäfelt, Schreibtisch, zwei Stühle, eine Memotafel an der Wand und ein Aservatentisch an der Seite. Ein Beamter schlurft noch mit dem letzten Rest vom Frühstücksbrot in der Hand zur Tür herein. Die Pflicht ruft. Widerwillig und schwerfällig setzt er sich, rückt die zwei Aktenordner auf seinem Tisch heran und greift zum Mikrophon: Herr Kohlhaas bitte. Ein Fall ist zu lösen, der Fall Michael Kohlhaas. Wie die Geschichte von Heinrich von Kleist im Theater Das Zimmer zu einem Kriminalfall wird, ist magisch und gelingt grandios. Regisseur Björn Kruse schafft es mit seinem ausgezeichneten Schauspielern aus dem Prosastoff ein hochspannendes Kammerspiel zu machen, dem man bis zum bitteren Ende gebannt zuschaut. Obwohl es eigentlich keine Dialoge gibt, übernehmen die beiden Darsteller die jeweils vorkommenden Rollen. Das heißt Jascha Schütz wird zu Kohlhaas und Ulrich Bähnk schlüpft in alle weiteren Rollen. Ein Lichtwechsel reicht aus und schon wird er zu Kohlhaasens Frau, zum Grenzbeamten, zum Fürsten oder zum Knecht Herse.

Doch was wäre die Form ohne den Inhalt? Kohlhaas ist ein Stück über die Radikalisierung eines Menschen, dem Unrecht widerfährt. Der Pferdehändler wähnte sich stets unter dem Schutz des Gesetzes. Doch als ihm dieser verweigert wird, er sogar zum Spielball und zum Opfer der Willkür der Obrigkeit und ihrer Exekutive wird, übt er Selbstjustiz. Als nicht nur seine Pferde zugrunde gerichtet, sein Knecht blutig geprügelt, sondern auch seine Frau zu Tode geschlagen wird, hat er nichts mehr zu verlieren und wird zum Rächer. Er will den Verursacher seines Unrechts vernichten. Da dieser sich aber unter Bürgern in wechselnden Städten versteckt, brennt er ganze Ortschaften nieder. Er gewinnt immer mehr Anhänger, die mit ihm brandschatzend und plündernd von Ort zu Ort ziehen. Was ist dieser Kohlhaas nun: ein Verzweifelter, ein Extremist, ein Gerechtigkeitsfanatiker, ein Widerständler oder ein Terrorist? Das bleibt in dieser Inszenierung im kleinsten Theater Hamburgs wohltuend offen. Denn Jascha Schütz zeigt alle Facetten von Kohlhaas: den Rechtsgläubigen, den Trauernden, den Liebenden, den Rasenden, den nach Rache gierenden, den in seiner Wut um sich Schlagenden und Zerstörenden. Als sich nach der Pause sein Idol Martin Luther einschaltet (natürlich auch Ulrich Bähnk) kommt er zur Besinnung und stellt sich. Zum Schluss ist das Recht zwar wiederhergestellt, aber es wird auch Kohlhaas richten.

Immer wieder müssen die beiden Schauspieler zum Endapplaus auf die kleine Bühne kommen. Das bis auf den allerletzten Platz (inklusive Klappstühle aus der Abstellkammer) gefüllte Theater zeigte sich zu Recht völlig begeistert von der Inszenierung, die ohne den Text zu verändern, das Stück so behutsam in die heutige Welt übertragen hat, dass sich die Handlung ganz natürlich in einer Amtsstube entwickeln konnte. Ein kleines Kunststück, das hervorragend funktionierte.

Birgit Schmalmack vom 23.5.25

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