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  • immer wieder mit einem Berlin-Special

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Der Talisman, Thalia Kraft zieht auf diese Weise geschickt die Schraube der Komödie noch ein bisschen fester an. Das ist sicher ganz im Sinne des Autors Nestroy, der sich in seinen Stücken gerne in der Art des schenkelklopfenden Volkstheaters über die Vordergründigkeit der wienerischen Gesellschaft lustig machte und sie zu entlarven versuchte. Kraft überträgt dies sehr klug in eine Comicwelt, in der er das Stück in all seiner Komik abspulen lässt, aber mit einer eingezogenen Metaebene gleichzeitig als Spiel zeigt und hinterfragt. Das ist eine Arbeit, die nicht nur sichtbar dem Ensemble riesigen Spaß bringt, sondern auch dem Publikum. (Foto: Krafft Angerer)

Almost Legal Alien, Haus 73 Mustafa Algiyadi ist keiner, der bohrt, sondern einer, der mit einem offenen Lächeln im Gesicht eine Möglichkeit zum Hinterfragen anbietet. Das kommt in Hamburg sehr gut an. Oft ist ein nickendes Zustimmen im Publikum zu bemerken, wenn er mal wieder die Eigenheiten der Deutschen, der Araber oder auch der Italiener und Franzosen treffend karikiert. So werden sich alle, die sich schon einmal irgendwo fremd vorgekommen sind, von dieser Show verstanden fühlen, oft herzlich lachen und um etliche Anekdoten und Einblicke bereichert nach Hause gehen können.

OUR FUTURE, Lichthof Für „our future“ hat das Team new trouble unter der Leitung von Antje Velsinger mit vielen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren gesprochen und ihre Stimmen aufgenommen. Ihre Beobachtungen, Ideen, Wünsche und Befürchtungen werden im Original zu einem Teil der Soundskulptur (Julia Krause), zu denen Schönlaus Körper den Ausdruck findet. Zusätzlich leiht sie den Jugendlichen auch immer wieder ihre eigene Stimme, indem sie deren Texte in ihre Bewegungen miteinfließen lässt. Obwohl sie ganz alleine auf der Bühne ist, wird sie so zum Sprachrohr vieler. So lebt diese Arbeit von der eindrucksvollen Präsenz dieser Performerin, die mit ihrem sehr authentisch wirkenden Spiel und der emotional sprechenden Choreographie in die Stimmungslagen der Jugendlichen eintauchen lässt. (Pressefotos: Julie Nagel)

Der Untertan, Altonaer Theater Doch da erkennen die übrigen Fünf, dass sie sich wehren können. Sie beenden ihr Schweigen und ihre Vereinzelung. Statt gehorsame und schweigende Untertanen sind sie nun die demonstrierende Mitte. Mit einem Tocotronic-Song richten sie sich direkt ans Publikum: "Darum muss man sie bekämpfen, aber niemals mit Gewalt", während hinter ihnen auf der Leinwand Bilder von Putin, Trump, Erdogan und Kim Jong-un über die Leinwand laufen. Ein starker sprechender Abschluss. So lohnt es sich, unbedingt bis zum Ende des Abends zu bleiben, denn er findet erst in der zweiten Hälfte zu seiner wahren Kraft. (© Caren Detje Photographie )

Vampire's Mountain, Schauspielhaus Da können selbst die Vampire nur noch mit den Fledermaus-Flügeln schlagen. Wenn die Gletscher aufgrund des Klimawandels abgeschmolzen sind, hilft nichts mehr. Nur noch schnell weg hier, in den Untergrund, aus dem sie gekommen sind. So ist der Abend „Vampire’s Mountain“ von Philippe Quesne im Schauspielhaus zu einem melancholischen, humorvollen und total abstrusen Abgesang auf das irdische Dasein geworden. Mit Texten von Beckett, Bayron oder Rilke inszenieren Mitglieder der Studio Viavarium mit einigen aus dem Ensemble das Sterben des Lebens, das wir bisher gekannt haben.

Macht, Schauspielhaus Die junge Regisseurin Patricia Camille Stövesand hat den Roman der norwegischen Autorin Heidi Furre behutsam und berührend auf die intime Bühne des Rangfoyers im Schauspielhaus gebracht. Ohne moralischen Impetus oder überdeutliche Botschaft. Ob dafür die Erläuterungen zu der MeToo-Bewegung nötig gewesen wären, die Thorje während des Stückes ganz sachlich referiert, kann man diskutieren, aber sie machen die Arbeit nicht weniger sehenswert. Denn im Zentrum steht diese Frau, die aus der eigenen Ohnmacht herausfinden und mit einem enormen Energieaufwand die Gewalt in sich verschließen will und merkt, dass diese einer eigenen Logik folgt. Das Gift der Gewalt sickert trotzdem ein. Während Livs Stimme weiter aus dem Off spricht, bewegt Reusse sich mit eckigen, verzweifelten, verkrampften und kräftigen Schritten über die Bühne, bis sie die Stoffbahnen herunterreißt und sich in den riesigen Stoffberg wirft. Erst durch den Mut, die eigene Ohnmacht einzugestehen kann neue Macht erwachsen. (Foto: Thomas Aurin)

Was ihr wollt, Thalia So bekommt Anne Lenks Inszenierung von William Shakespeares „Was ihr wollt“ am Thalia Theater auf den letzten Metern doch noch einen Spaß dämpfenden Unterton. Der verletzte Junge-Union-Wähler Molvolio nervte schon vorher als spießiger Regelwächter und träumte derweil vom Klassenaufstieg, um endlich über den Anderen zu stehen. Das zahlen sie ihm durch einen üblen Spaß heim, durch den er so gedemütigt ist, dass er Rache schwört. Denen, bei denen es so drunter und drüber geht, will er es zeigen. (© Katrin Ribbe)

Mrs. Warren's Profession, Savoy Zwei starke Frauen treffen hier aufeinander. Sie werden furios von den beiden Schauspielerinnen Imelda Staunton und Bessie Carter gespielt. Die Männerfiguren um sie herum werden dabei fast zu belanglosen Randfiguren. Sowohl die Mutter wie die Tochter weisen sie immer wieder in ihre Schranken. Die Ausbeutung von Arbeitskräften in Billiglohnjobs, die für Frauen eine Arbeit als Prostituierte attraktiv macht, ist auch heute noch aktuell. Doch Regisseur Dominic Cooke beließ das Stück für seine Inszenierung am National Theatre, das nun als Live-Film im Savoy zu sehen war, in seiner Zeit. Er vermied dadurch Brüche, aber machte es den Zuschauenden auch leicht, die Probleme des 19. Jahrhunderts in der Vergangenheit zu belassen.

Wenn die Rolle singt, Thalia „Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler“, von der Regisseurin Johanna Louise Witt in Zusammenarbeit mit den beiden Schauspielern Thomas Niehaus und Paul Schröder entwickelt, ist zu einer Kultshow am Thalia Theater geworden, die seit 2016 sicher schon hundert (jedenfalls in der Rechnung der beiden Angler) Aufführungen erlebt hat. Es ist ein zum Brüllen komischer und gleichzeitig berührender Abend. Er stellt zwei bodenständige deutsche Vereinsmitglieder ins Scheinwerferlicht und zeigt sie als Menschen, die während ihres stundenlangen Herumblödelns zu einer Tiefe hinter der schlichten Fassade in der Lage sind, die das Bildungsbürgertum im Publikum ihnen wohlmöglich gar nicht zugetraut hätte.

Marschlande, Thalia Ein klar emanzipatorisches Stück, das hier auf der Bühne des Thalia Theaters zu sehen ist. Doch die Parallelität der beiden Geschichten greift zu kurz. Die klare, zu einfache Aufteilung in Opfer und Täter hilft heute nicht auf dem Weg zur Gleichberechtigung weiter. Vor fünfhundert Jahren fehlten den Frauen noch die rechtlichen Mittel, um sich zu wehren. Doch heute ist das Geflecht aus Abhängigkeiten, Wünschen und Verpflichtungen wesentlich komplexer. Das wird im Stück leider nur angedeutet. So bleibt es zunächst beim wohligen Gefühl des Wiederkennens und der Hoffnung auf Frauensolidarität, könnte aber hoffentlich im nächsten Schritt dazu führen, über die Ursachen (auch selbst-)kritischer nachzudenken. Meinte das Britta etwa, als sie zu ihrer Tochter am Schluss sagt, dass sie erst in die Vergangenheit gehen musste, um ihre eigene Gegenwart zu verstehen? Sind wir tatsächlich noch keinen Schritt weiter? © Kerstin Schomburg

Verwandliung, Thalia Doch genau in diesem intensiven Eintauchen liegt die Hoffnung. Die zweite Generation hat so viel Vertrauen in die Zuhörenden, dass sie sich öffnet. Sie erzählt endlich ihre Geschichten und die Zuschauer:innen hören zu. So erst kann Verständnis entstehen. Und dies ist von einer Dringlichkeit, die nicht erst deutlich wird, wenn der Bundeskanzler die Verbesserung des Stadtbildes mit Abschiebungen in Verbindung bringt. Diese Unbedingtheit ist dem Spiel der Ensemblemitglieder in jedem Moment anzumerken. Man spürt, dass sie genau wissen, wovon sie sprechen. Das ist ein neuer Ton, der hier im Thalia Theater angeschlagen wird. Wenn das Theater ein offener vielfältiger Diskursraum sein soll, dann ist er dringend geboten. (Copyright: Krafft Angerer)

Das Paradies und die Peri, Staatsoper Vera-Lotte Boecker ist in jeder Hinsicht grandios in der Rolle der Peri. Sie verkörpert den gefallenen Engel, der sich auf die Suche nach dem Menschlichen in einer unmenschlichen Welt macht, mit einer solchen Unbedingtheit, die sich in jeder ihrer Bewegungen, in ihrem Spiel und in ihrem Gesang ausdrückt, dass man den Blick nicht von ihr lassen. Sie ist das Herzstück dieser Inszenierung, in der aber auch alles andere stimmt. Die Chormitglieder brillieren als aufgebrachte Bürger:innen wie als stromlinienförmiger Kirchenchor, der Countertenor Ivan Borodulin als eindrucksvoller Wächterengel, der Tenor Kai Kluge als mitfühlender Erzähler und die Mezzosopranistin Annika Schlicht als berührende Braut, um nur einige zu nennen. Das Bühnenbild, die Kostüme und der Kameraeinsatz, alles fügt sich zu einem intelligenten, hintergründigen und gewitzten Abend, dem eine Meta-Ebene nicht reicht, um nicht noch eine weitere hinzu zu fügen. Langanhaltender Applaus mit entzückten lauten Bravos waren der Dank des Publikums am Ende des fulminanten Abends. So verliert Oper jeden Anstrich von Angestaubtheit und kann generationsübergreifend begeistern. (Foto: Monika Rittershaus)

Stunde Null, Axensprung Theater Das Axensprung Theater hat es wieder einmal verstanden, im Eintauchen in die Innereien einer Hamburger Familie die Geschichte lebendig werden zu lassen. Nun gibt es die Chance das Stück zu sehen: Am Sa, 22.11. + So, 23.11. um je 18 Uhr/Mo. - Do, 24.11. - 27.11. um je 19 Uhr im Mahnmal St. Nikolai/Willy-Brand-Straße 60

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