Circus Festival Berlin 2025

Meander, Circus Festival
Jona Harnischmacher
Get wild!
Eröffnung
Es geht wieder los. Die drei Zirkuszelte sind aufgebaut auf dem Tempelhofes Feld. Der kleine Pool mit den künstlichen Seerosen steht wieder in der Mitte, der Minigolfparcour ist eingerichtet und die Wohnzimmerlampenketten sind gespannt. Die Artistinnen aus aller Welt sind angereist und bereit, das Berliner Publikum wieder ihren Bann zu ziehen. Ein paar Appetitanreger gab es zur Eröffnungsparty. Eingeteilt in eine blaue und gelbe Gruppe zog die große Menge an Interessierten von der Openairbühne zum großen Zelt. Zwischendurch ging es immer wieder an die Bar, wo zwischen den Tischen weitere Kostproben des in den nächsten Tagen gebotenen Programms zu sehen waren.
Der Berliner Himmel lieferte die eindrucksvolle Wolkenkulisse am Eröffnungsabend gleich mit. Von dunklen Regenwolken über blauem Himmel bis hin zu einem Sonnenuntergang mit Scheinwerfereffekt war alles dabei. Anschließend konnte der Abend mit der Live-Musik auf der Containerbühne weitergehen. Das bunt gemischte Publikum ließ sich nicht lange bitten und tanzte und sang mit. Ein gelungener Auftakt.
Get Wild!
Der Kajote dreht seine akrobatischen, variantenreichen Runden auf dem BMX-Rad. Und immer weitere Artistinnen des Cirque Exalté schließen sich ihm. Zusammen schreiten sie den Kreis der Bühne ab. Sie formen eine rituelle Community aus lauter Individuen, die erst in ihrer Unterschiedlichkeit eine unglaubliche Energie entfalten, die sich auch auf das Publikum überträgt. Zunächst mag es aussehen, als wenn sie hier nur ihre einzelnen artistischen Künste präsentieren, doch das täuscht. Denn für sie ist ihre Kunst nur Mittel zum Zweck. Sie wollen in "foutoir céleste" gemeinsam in einen Rausch der Ekstase und der Selbstüberwindung kommen, der ihnen erlaubt einen neuen Bewusstseinszustand zu erreichen.
Der Jongleur steigert sich dazu in einen wütenden Kampf mit den Keulen hinein, die in zahlenmäßiger Übermacht auf dem Boden liegen. Die Trapezartistin schaukelt sich in immer gefährliche Höhen in den Bühnenhimmel hinauf, um sich dann mit waghalsigem Mut in die Tiefe zu stürzen, die sie in letzter Sekunde mit ihren Beinen am Reck abstoppt. Die Handstandkünstlerin lässt sich von einem Partner zum nächsten heben, werfen und schleudern, und weidet sich an der Aufmerksamkeit und Bewunderung, die sie damit erreicht. Keiner der Künstlerinnen kann sich beschränken, jede:r gerät in einer Immer-Mehr. Bis zur letzten Szene: Da tritt die dritte Frau des Ensembles zum radelnden Kojoten auf die Bühne. Sie liefert keine vor Kraft strotzende Show wie die Anderen ab, sie liefert sich keinen Wettkampf mit dem Kojoten, nein, sie umstreicht ihn, sie begleitet ihn zärtlich umgarnend. Während die anderen in eine Konkurrenz zu ihm getreten sind, fängt sie an mit ihm an zu tanzen. Sanfte Harmonie strahlen die Beiden nun aus. Da schlüpft ein kleiner Kojote zwischen ihren Beinen hindurch. Diese Harmonie scheint also Zukunft zu haben. Gemeinsam mit all den Anderen des Ensembles schreiten sie nun das Rund der Bühne friedlich vereint ab.
Vertrauen ist die Grundlage
Vereinigung ist auch das Motto von „Knot on Hands“. Doch gleich von Beginn an. Hier geht es weniger um Ekstase als vielmehr um Zusammenarbeit und Vertrauen. Die fünf Teammitglieder werden zu einem Körper. Perfekt greifen ihre Arme, Beine, ihre Körper ineinander und ergänzen sich zu einem Organismus, der sich wie eine Einheit über die Bühne bewegen kann. Wie Räder, wie Schlangen, wie Maschinenelemente, die sich ergänzen zu einem großen Ganzen. Ihr spektakulärer wie poetischer Abend „Meander“, das das Ensemble gemeinsam mit Felix Zech und Kim Alstadsaeter entwickelt hat, startet gleich mit einem Vertrauensbeweis. Aus einem Black heraus springt die Frau des Ensembles von den Schultern zwei übereinander gestapelter Männer in die Arme der Anderen. Dieses vertrauensvolle Zusammenwirken aller Fünf ist eine Grundlage, der sie sich immer wieder gegenseitig versichern. Immer wieder stehen sie für einige Sekunden nebeneinander, blicken sich in die Augen oder berühren sich an den Schultern. Sie müssen sich aufeinander verlassen können.
Das klappt sogar in der Düsternis, wie sie in einer Sequenz beweisen, in der sie nur eine kleine Laterne von Hand zu Hand reichen, die ihre Formationen in winzigen Ausschnitten beleuchtet. Kurz vor Ende toppen sie das noch: Sie wickeln sich aufeinander ab, heben sich in die Höhen, springen sich an und fangen sich auf, während sie von einer Laser-Lichtinstallation nur mit wenigen weißen Schlangenmustern angestrahlt werden, die ihre Körper optisch komplett verschmelzen lassen. Die Konturen der Einzelnen sind nicht mehr zu erkennen. Die Vereinigung ist perfekt.
Hier könnte schon Schluss sein, doch sie haben immer noch etliche weitere sensationelle Beweise ihres gegenseitigen Vertrauens auf Lager. So stehen sie wieder da, blicken sich in die Augen und lassen sich dann gegenseitig in die Luft fliegen und sicher wieder auf den Extremitäten der Anderen landen. Das ist Kunst, die spektakuläre Artistik mit der Erkenntnis verbindet, was in einer Gemeinschaft, die sich vertraut, gemeinsam erreicht werden kann. Ohne je auf den schnellen Knallmoment zu setzen, sondern ganz der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit zu vertrauen, die keine Showeffekte nötig hat. Sie lassen die in jeder Hinsicht beeindruckenden, mitreißenden Ergebnisse ihrer Höchstleistungen für sich sprechen.
Party der Deprimierten
Pastellige Bonbonfarben überall. Die drei Performer:innen von „Compagnie Moost“ sind mint, rosa und blassgelb gekleidet. Perücke auf dem Kopf und Leidensmiene im Gesicht. Dabei soll hier eine Party gefeiert werden. Das Büfett mit bonbonfarbenen Getränken und allerlei Süßem und Salzigen steht bereit. Die Partymusik ertönt, die Partyspiele sind vorbereitet, doch von guter Stimmung keine Spur. Ganzen im Gegenteil, die Drei trauen sich nicht über den Weg, versuchen sich gegenseitig jede noch so kleine zufällig aufkommende Freude zu verderben.
Was wollen die Drei hier? In welcher Beziehung stehen sie zueinander? Darüber kann man bis zum Schluss nur Vermutungen anstellen. Doch die drei Depris scheinen zum Partymachen verurteilt und stürzen sich, nachdem kein Entrinnen möglich scheint, in die kleinen Abenteuer, die das Arrangement ihnen in den Weg stellt. Da balanciert die eine Frau auf zwei Händen und Füßen auf Glasflaschen über den wackeligen Biergartentisch. Da schießt die andere Frau mit dem Gewehr kopfüber stehend auf die Luftballons, die im Raum verteilt sind. Da fängt der Mann die Dartpfeile, die eine der Frauen auf ihn schießt, mit einer Teppichfliese ab, bevor sie ihn selbst treffen können. Der Höhepunkt ihrer Show erfordert dann auf einmal doch ein Zusammenwirken. Auf dem Biergartentisch stapeln sie drei Klappbänke so umständlich und ungeschickt wie möglich übereinander und legen eine zusammengeklappte Bank quer darüber. Auf der nehmen die beiden Frauen Platz und versuchen sie labilen Gleichgewicht zu halten. Doch wie nun wieder herunterkommen, ohne dass alles einstürzt? Da wäre der Mann gefragt, doch den kümmert das Schicksal der Frauen nicht. Wie es dann die Frauen alleine wieder heil nach unten schaffen, ist ein absurdes Kunststück aus Slapstick, Verzweiflung und Akrobatik.
Noch überzeugender wäre „Natures mortes“ gewesen, wenn die Geschichte, die die drei Depris zu erzählen versuchten, ihren roten Faden klarer offenbart hätte. Am besten amüsierten sich die Kinder im Publikum, denn für sie brauchte dieses Spiel der Schweizer Gruppe, das aus einem ständigen Auf und Ab aus Versuch und Irrtum bestand, kein klares Ziel, um sie bestens zu unterhalten.
Birgit Schmalmack vom 2.8.25
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