NARZISSUS OBSOLETUS, Nie-Theater
Narzissten unter sich
Wo liegt das Selbst verborgen? Liegt es noch versteckt unter den Mullbinden der letzten Schönheits-Operation, die das eigene Spiegelbild so verbessern sollte, dass man mit dem Küssen des Spiegelglases gar nicht mehr aufhören möchte? Nein, so weit sind die beiden Körper auf der Bühne noch nicht. Noch immer müssen so viele Striche auf den eigenen Körper gezeichnet werden, um die Optimierung, die man erträumte, vielleicht irgendwann einmal zu erzielen. Selbst nachdem die beiden Körper sich endlich selbst auf den OP-Tisch gelegt und sich eigenhändig aufgeschnitten und zugenäht haben, sind ihre Lebens-Beulen unübersehbar.
Dazu tragen die Schauspieler:innen (Julia Boxheimer, Maximus Garbers) unter ihren transparenten Strumpfanzügen viele Luftballons, die ihre Deformationen eindrucksvoll demonstrieren. Während sie sich in einem nicht enden wollenden Wortschwall in pseudophilosophischen Ergüssen ergehen, werden sie immer wieder von einem Mann in einem weißen Bademantel unterbrochen, der mal wie ein Hausmeister, mal wie ein Kontrolleur vom Gesundheitsamt, mal wie ein Pastor und mal wie der Autor dieses Stücks redet.
Für ihr „Klo-Theater“ hat das Nie-Kollektiv wie gewohnt mit seinem besonderen Sinn für Hintergründigkeit, Experimentierlust und Skurrilität ein neues Stück entwickelt. In dem engen Raum des ehemaligen Klohäuschens im Victoriapark, der bis auf den allerletzten Platz gefüllt war, nutzen sie die kleine Bühne voll aus. Mit mehreren Ebenen, die durch transparente Vorhänge und Folien voneinander getrennt wurden, und Kamerafahrten, die den Raum bis auf die Kreuzbergstraße erweiterten, ließen sie das Publikum teilhaben an ihren mit großem Ernst vorgetragenen Überlegungen. Die Themen könnten kaum bedeutender sein: Wahrheit und Lüge, Selbst- und Fremdbilder, Selbstzweifel und Selbstüberschätzung, Egoismus und Sehnsucht nach Gemeinschaft. Doch die Sätze, die Autor und Regisseur Niels Willberg hier seinen Protagonisten in die Münder legt, täuschen einen leicht erschließbaren Sinn nur vor. Letztendlich laufen sie stets in die gedankliche Sackgasse. Auch wenn sie super klug klingen, verweigern sie sich dennoch dem tieferen Verständnis. So eiert die Sprache der Personen genauso ziellos in der Gegend herum wie die Personen selbst auf ihren Lebenswegen. Sie feilen an ihrer Performance und offenbaren doch nur die inhaltliche Vagabundiererei. So wie auch ihre äußere Form bis zum Schluss noch etliche Beulen aufweist, so offenbart ihre verwendete Sprache immer auch ihre Leerstellen. Das ist irritierend, gewitzt und faszinierend. Es macht Spaß den Akteuren zuzuhören und zuzuschauen, auch weil sie selbst so viel Spaß an ihrem Spiel haben. Dieser überträgt sich unvermittelt auf das Publikum, das die Premiere begeistert feierte.
Birgit Schmalmack vom 25.8.25
hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000