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Dambudzo, Alte Münze

Dambudzo, Alte Münze

Foto: Festival d'Autonomne

Erkenntnisse mit dem ganzen Körper

Ohrenbetäubende Beats unterlegt mit Hundegebell umfangen einen beim Eintritt in die Halle der Alten Münze. Das Erste, was man sieht, ist ein schwarzer Mann, der mit vor Angst verzerrtem Gesicht versucht durch Häuserfluchten zu flüchten, gejagt von unsichtbaren Verfolgern, nur schemenhaft zu erkennen, in unscharfen Filmbildern. So geht es in wilder Hetze auch über die nächste Leinwand, dieses Mal quer über einen Innenhof, der sich auch in Berlin befinden könnte.
Die Halle ist durch durchscheinende Farbwände, die von der Decke hängen, in verschiedene Räume aufgeteilt. Die Tanzböden sind statt mit Tanzboden mit ganz normaler Pappe ausgelegt. Auf einer Freifläche, über die sich nur zaghaft die ersten Zuschauenden bewegen, hat sich eine kleine Gruppe versammelt, die sich bemüht, mit lächelndem Geplauder und beschwingten Hüftbewegungen einen Gegenentwurf zur sich ausbreitenden Atmosphäre der Aggression zu setzen. Unermüdlich setzen sie ihre zarte Demonstration der Gemeinschaft fort.
Zwischen diesen beiden Polen wird sich die eindrucksvolle Arbeit „Dambudzo“ von nora chipaumire bewegen. Mitten in einer Umgebung, die Gewalt und Gefahr ausstrahlt, ergeben sich immer wieder Inseln der gemeinschaftlichen Freude. So auch im nächsten Raum, in den das Publikum durch geschickte Scheinwerferbeleuchtung gelockt wird: Hier bolzt eine größere Gruppe von Männern fröhlich miteinander, unter Einbeziehung der Umstehenden, falls ein Ball ins Aus geht. Plötzlich mischen sich unter die immer noch tosend laute Musik Halleluja-Rufe. Eine Prozession wird sichtbar. Mit dem Schild „Saved“ an der Spitze und einem Sonnenschirm über dem Kopf. Sie umrunden mit ihrer frohen Botschaft beide Hallen.
Folgt man ihnen wieder in erste Halle zurück, wird man hier allerdings Zeug:in einer ganz anderen Szenerie: Hier bewerfen mehrere Performer zunächst eine Wand mit Matschklumpen und bald auch sich gegenseitig, bis zum Schluss einer von ihnen von einem zweiten verprügelt, wie ein Opferlamm über das Knie gelegt wird, bis er wie tot auf den Boden plumpst.
Währenddessen kriecht die immer noch wahnsinnig laute Musik allmählich in die Eingeweide, zusammen mit der immer schwüler werdenden Luft in den unklimatisierten Hallen ergibt sich ein Unwohlsein, sicher nicht unbeabsichtigt. Nach etwa einer halben Stunde wird die Musik endlich leiser und die Hunde schweigen vorläufig. Nun spielen sich in den sich wieder veränderten Raumteilungen Tanzszenen ab, die einerseits von Gemeinschaft, Lebensfreude und Energie erzählen, aber andererseits auch von ständigen Gewaltandrohungen. So wandelt sich ein traditioneller Stocktanz zu einer Machtdemonstration mit angedeuteten Schlagstöcken oder Maschinengewehren. So schnell kann das Eine in das Andere kippen.
Ganz zum Schluss wird auf der größten Fläche der Halle ein Kreis mit Hockern und Mikros arrangiert. Die Zuschauenden werden eingeladen Teil dieses Sitzkreises zu werden, in dem die Tänzer:innen nun gemeinsam traditionelle, mehrstimmige, einladende Lieder erklingen lassen. Dennoch: Über den Teilnehmenden hängt drohend der bühnengroße Schattenriss eines Hundes und teilt sie in zwei Teile. Doch er lässt sich leicht ignorieren, ist er doch weiß und mit Lücken zum Hindurchschauen. Zum Ende werden alle zu einem kleinen Tanzworkshop eingeladen, bei dem die Meisten gelöst mitmachen.
Doch die Choreographin lässt den Abend natürlich nicht in dieser Harmonie enden. Sondern er endet, wie er begonnen hat. Mit Hundegebell. Zunächst begleitet von einem Schattenspiel hinter einer der transparenten Wände, dann treten die Performer hervor und werden selbst zu kläffenden Hunden, die mitten durch ihr Publikum mit zum Teil gefletschten Zähne hindurchgehen.
Das ist ein Abend, der niemanden kalt lassen kann, denn er geht unter die Haut, er wühlt emotional auf und hinterlässt ein Gefühl der Verunsicherung. Wenn er auch zunächst wie die ersten Videobilder nur eines verspüren lässt: Gedanken an Flucht. Doch wenn man geblieben ist und sich dem Folgenden ausgesetzt hat, wird man feststellen, dass es sich gelohnt hat. Nora chipaumire verbindet die äußert anstrengenden Phasen so geschickt immer wieder mit Zeiten des Wohlfühlens, dass die entsprechenden Fallhöhen bis zum Schluss als Warnung lauern. So hat man hinterher das Gefühl: Man hat etwas verstanden, doch nicht durch einen intellektuellen Weg. Der Erkenntnisprozess ist direkt durch den Körper gegangen und hat die Bauch-, Hüft-, Herz- und sämtliche Gefühlsregionen erreicht. Eine politische, kluge und vereinnahmende Arbeit.
Birgit Schmalmack vom 18.8.25

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