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Derniers feux, HAU 1

Derniers Feux, HAU 1

Foto: Quentin Chevrier

Viel Pseudo-Aktivität


Minutenlang ist eine Trompetenfanfare zu hören. Dieses Signal, dass üblicherweise etwas ankündigt, bleibt hier allerdings ohne Folgen. Es bleibt stockfinster. Das setzt den Ton für alles Folgende. Erwartungen werden konsequent unterlaufen. Als das Licht endlich angeht ist viel vorgetäuschte Aktivität unter dem bühnenhohen Gerüstbalken zu sehen, doch eigentlich passiert nichts, jedenfalls nichts von Dauer. Die Tänzer:innen, die zugleich Musizierende, Bühnenarbeitende und Performer sind, schleppen riesige Pappen, viele Buchstaben und lange Holzstäbe von einer Seite der Bühne auf die andere, um sie gleich danach wieder an eine andere Stelle zu bringen. Was sie gerade aufgebaut haben, wird sogleich wieder demontiert. Dazwischen - fast zu übersehen - drei Tänzer, die wie zufällig dort so etwas wie eine kleine ungelenke Gruppenchoreographie versuchen. Unter dem Gewusel auf der Bühne, das ohne Sinn und Ziel erscheint, geht der Tanz fast unter.
Irgendwas scheint sich anzukündigen, doch was? Vereinzelte Explosionen sind zu sehen. Sie scheinen Warnsignale setzen zu wollen, doch wovor? Als eine Tänzerin sich wie in Trance auf den inzwischen ausgelegten Pappen mit geschlossenen Augen bewegt, werfen die anderen mit Pfeilbündeln auf sie, die direkt neben ihr auf dem Boden stecken bleiben. Auch die Buchstaben werden nie zu verständlichen Worten zusammengesetzt.

So wirkt das ganze Arrangement wie eine Allegorie auf die hektische Umtriebigkeit der Menschen kurz vor einer großen Gefahr, wohlmöglich einer Katastrophe. Aufgescheucht geraten sie in Aktionismus, dem aber jedes Ziel fehlt. Nur einmal werden sie zu einer Gruppe. Da formen sie die Musiker:innen mit Trommelschlägen, Gitarrenriffs und Gesang zu einer kurzfristigen Gemeinschaft, die zu einem gemeinsamen Rhythmus findet. Mit Anklängen an eine Carnevaltruppe marschieren sie in seltener Geschlossenheit unter den Gerüstbalken hindurch. Doch schnell bricht diese erneut auseinander und die Vereinzelung hat sie wieder im Griff. Die Menschen erscheinen hier hilflos, planlos, ziellos, unfähig zur Absprache oder Teamarbeit. Falls man das als Metapher für unsere derzeitige Weltlage lesen soll, dann hat der erst dreißigjährige Choreograph Némo Flouret bei seiner Deutschlandpremiere von „Derniers feux“ wenig Zuversicht mitgebracht, denn die Trompeterin stößt am Schluss erneut ihre Fanfaren in die Luft. Alles könnte wieder von vorne losgehen. Das war ein Eröffnungsstück für das diesjährige Tanz-im-August- Festival, das viele Fragen aufwirft und eigentlich keine beantwortet.

Birgit Schmalmack vom 15.8.25

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