Woman.Mother.Artist + Memoirs of Mud
Eine Frau als Super-Hero
Eine Frau als Super-Hero
„Das ist auf dem Festival meine letzte Show, vielleicht sogar meine allerletzte. Ich bin ein bisschen unvorbereitet, ich hatte nicht so viel Zeit, mich auf die Show heute vorzubereiten“, gesteht Marianna De Sanctis augenzwinkernd. Sie rast zu ihrem Laptop, klickt ein paar geöffnete Dokumente weg, stellt fest, dass das richtige Kabel fehlt, schüttet ihren Rucksack aus. Dutzende von Kinderklamotten purzeln heraus, unten endlich auch das benötige Kabel. Den Grund ihres Stresses zeigt sie auf dem Laptop: Ihre Mutter kümmert sich gerade um ihre Kinder. Denn sie ist eine Frau, eine Künstlerin und eine Mutter. Sogar eine dreifache, die sich noch ein viertes Kind wünscht. Warum? Vielleicht weil sie sich gerne als Super-Hero fühlen möchte?
So sprintet sie in „Woman.Mother.Artist“ auf der Bühne hin und her, während sie ihr Publikum immer wieder vertröstet: Der „Circus“ wird dieses Mal erst ganz am Schluss vorkommen. Es geht ihr heute um etwas Anderes. Sie will eine politische Botschaft vermitteln. Sie gibt Einblicke in das schwierige Geschäft einer selbstständigen Artistin, die sich erlaubt hat, Kinder zu bekommen. Sie hat erwiesener Maßen viele Talente, sie kann singen, mit einem Hula-Hop-Reifen magische Kunststücke machen und sie kann gleichzeitig Milchreis kochen, Telefonate mit Agenten führen und ein Kind trösten, das sich verletzt hat. Die Artistik sei das allerletzte bei ihrer Showarbeit, zuerst gehe es um viel Blabla, schöne Fotos, selbst bezahlte Anreisen zu Open Calls und einen enormen Vorrat an Selbstmarketing, Resilienz, Ausdauer und Kreativität, wenn Ideen immer wieder abgelehnt werden. Denn zusätzlich zur Doppelbelastung als Mutter und Künstlerin ist sie eben auch eine Frau. Eine Sammlung von Sprüchen, die sich schon anhören musste, belegt die Herausforderung, die dies für sie bedeutet. Zum Schluss der beeindruckenden langen Liste an übergriffigen sexuellen Beleidigungen, dankt sie allen, die diese Präsentation möglich gemacht haben. So switcht sie ständig zwischen Ernst und Witz hin und her. Sie ist eine Powerfrau, der nie die Puste auszugehen scheint. Das beweist sie mit dieser bewusst textlästigen Show, die ihren täglichen Kampf mit all dien Herausforderungen perfekt illustriert. Erst ganz am Ende holt sie ihre Reifen hervor und gibt eine Kostprobe ihrer Kunst. Sie lässt die Reifen herumwirbeln, durch den Raum springen und wieder zurückkommen. Wie sie zum Schluss mit einem der Reifen ihre Haare zu einem Dutt aufrollt, zeigt wieder einmal ihre Fähigkeit zur Doppelnutzung. Eine sehr persönliche Performance, in der Marianna ihr Selbstempowerment auf unglaublich umeitle, reflexive und witzige Art zeigt.
Fucking fake Farmer
Eine düstere Stimmung umgibt das kleine Zelt, als die beiden Künstlerinnen finnischen Inka und Imogen vom Kollektiv Sisus zu “Memoirs of Mud” hereinbitten. Auf dem Boden liegt eine dicke Schicht Erde, die beiden Frauen stehen daneben scheinbar anstrengungslos auf zwei kleinen erhöhten Handstand-Holzplatten und singen. Sie erzeugen mit ihrer Musik eine knisternde, rauschende, wabernde Grundstimmung, die zwischen Ironie, Mystik und Gefahr changiert. Was sie in der nächsten Stunde auf ihrem Erde-Areal anstellen, lässt sie nie vorhersagen. Ständig wechselt die Atmosphäre zwischen ihnen. Meist sind sie Kumpaninnen, mal Konkurrentinnen, mal Freundinnen, mal Feindinnen. Sie unterstützen sich in einen Moment und fügen sich im nächsten Augenblick willentlich Schaden zu.
Denn unter der Erde ist allerhand verborgen. Zwiebeln, mit denen sie das Gesicht der Anderen einreiben, bis die Tränen kommen, ein Rucksack, mit dem sie plötzlich in die Höhe gezogen werden, Besteck, mit denen sie erdige Kartoffeln essen und Kleidungsstücke, die sie überstreifen. Denn sie betreiben beileibe kein normales Farming, nein sie sind „Fashion Farmers“. Aber sehr umeitle. Schon nach kurzer Zeit sind sie über und über mit Erde bedeckt. Sie buddeln sich gegenseitig unter die Erde oder machen einen Handstand mit komplett eingegrabenem Kopf, aus dem nur ein Strohhalm herausragt.
Ihre Kunststücke sind eingebettet in eine Inszenierung, die bis ins Kleinste durchgestylt ist. Musik, Setting, Kleidung, Akrobatik und die Texte greifen ineinander. Zwei unschuldig nett aussehende Frauen erzeugen eine Atmosphäre, bei der der Hinterhalt hinter jedem Lächeln wartet. Das zieht in den Bann, beeindruckt in der Konsequenz und schafft Spannung bis zum Ende. Zum Schluss sind beide dreckverschmiert, durchgeschwitzt und ihre Lungen voller Staub. Und die Zuschauer freuen sich über ihre Zugabe ihres Barbie-Song, dessen Inhalt die beiden Künstlerinnen gerade perfekt konterkariert haben.
Birgit Schmalmack vom 3.8.25
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